Dem Adler sein Horst

Foto: Alder@fotolia

Von Trauerbewältigung, Schlemmerparadies und Hoffnungsträgern

IMG_9707_AdlerhorstNen­nen wir sie Heinz und Ade­le. Das Adler­paar fühlt sich im Heu­cken­lock rich­tig wohl. In einer rie­si­gen Pap­pel haben sie einen mäch­ti­gen Horst gebaut, der nach eini­gen Jah­ren zwei Meter breit, zwei Meter hoch und bis zu 600 kg schwer ist. Ein Adler­pär­chen in Wil­helms­burg – das ist schon eine Sen­sa­ti­on, zumal das Heu­cken­lock für ein Natur­schutz­ge­biet mit 3 km Län­ge nicht gera­de groß ist und zudem in einer Groß­stadt liegt. Bene­dikt Domin, Adler­ex­per­te im Elbe-Tide­au­en-zen­trum Bunt­haus in Moor­wer­der hat – nicht als ein­zi­ger – das Geheim­nis ihrer Zunei­gung zum Heu­cken­lock gelöst. Es besitzt näm­lich nicht nur eine 430 Jah­re alte Flat­te­rul­me, die aller­dings vor eini­ger Zeit vom Sturm­tief Xaver zer­stört wur­de son­dern zusätz­lich ein Tide­aue-Süß­was­ser­watt. Alle sechs Stun­den schwemmt die Flut das Ober­was­ser der Elbe in das Heu­cken­lock-Pril und ande­re Sei­ten­ar­me der Süd­er­el­be hin­ein. Die Ebbe zieht es wie­der her­aus. Dabei haben sich Flach­was­ser­zo­nen gebil­det. Der mit­ge­brach­te Schlick hat eine klei­ne Schwel­le am Ufer­rand erzeugt. Die mit hin­ein geschwemm­ten Fische, die gern zum Lai­chen in die­se ver­meint­lich fried­li­chen Berei­che kom­men, wer­den bei Flut mit Schwung über die­se Schwel­le getra­gen wer­den und kön­nen bei Ebbe schlecht zurück!

So ist für Heinz und Ade­le ein klei­nes Schlem­mer­pa­ra­dies ent­stan­den. Sie gel­ten übri­gens bei Fach­leu­ten als aus­ge­spro­chen fau­le Adler, weil sie am reich gedeck­ten Tisch vor­wie­gend bei Ebbe Platz neh­men und weni­ger bei Flut wenn der Fisch­fang anstren­gend und erst bei wie­der­hol­ten Ver­su­chen erfolg­reich ist. Eif­rig schnap­pen sie sich dann die Fisch­mahl­zei­ten. Die Flach­was­ser­zo­ne ermög­licht es ihnen sogar, ein Vor­rats­la­ger für fisch­är­me­re Zei­ten anzu­le­gen, das für den Win­ter extra auf­ge­stockt wird. Auf die­se Wei­se waren sie natür­lich moti­viert, in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft ihren Horst in einer hohen Pap­pel zu bau­en. Die­se Idyl­le hielt jah­re­lang. Die Auf­zucht flo­rier­te. Bis der 15. April 2014 kam: Das Sturm­tief Pepi­ca ras­te über Ham­burg und Wil­helms­burg hin­weg. Ver­zwei­felt ver­such­ten die Adler-Eltern ihre bei­den Jun­gen, die noch nicht flüg­ge waren, zu beschüt­zen. Aber gegen die Macht der Natur waren sie hilf­los! Mit ohn­mäch­ti­gem Ent­set­zen muss­ten sie mit anse­hen, wie der Sturm ihren Nist­baum umstürz­te und das Nest mit den Jun­gen dar­un­ter begrub. Tage­lang such­ten sie ver­geb­lich nach ihren unter dem zer­bors­te­nen Baum begra­be­nen Kin­dern und der nicht mehr vor­han­de­nen Behau­sung. Aber schon nach zehn Tagen stürz­ten sich die auf so grau­sa­me Wei­se kin­der­los gewor­de­nen Eltern in den Wie­der­auf­bau eines Hors­tes in einer benach­bar­ten Pap­pel, obwohl es für eine Brut jetzt zu spät im Jahr war. IMG_9700_TotaleNest­bau als Trau­er­ar­beit, einen bes­se­ren Vor­schlag hät­ten sie auch im Rah­men einer Part­ner­the­ra­pie nicht bekom­men. So konn­te Bene­dikt Domin beob­ach­ten, dass das Adler­paar dem kuli­na­risch so effek­ti­ven Stand­ort doch die Treue hielt.

Er hoff­te sehr, dass sich die Ade­ba­re im nächs­ten Win­ter wie­der für die­sen Stand­ort ent­schie­den. Wür­den sie ver­su­chen, Nach­wuchs in unmit­tel­ba­rer Nähe eines so furcht­ba­ren Schick­sals­schla­ges zu erzeu­gen? Die Aus­dau­er der lang­le­bi­gen, bis zu 40 Jah­re alten Adler ist bekannt. Das wis­sen wir aus einer ande­ren Lei­dens­ge­schich­te: Die wenig glück­li­chen Pla­ner der Auto­bahn 20 in Schles­wig-Hol­stein muss­ten nach dem ein­jäh­ri­gen Pla­nungs­ver­zug, aus­ge­löst durch das mit 25.000 Exem­pla­ren größ­te deut­sche Fle­der­maus-Über­win­te­rungs­quar­tier in nahe gele­ge­nen Kalk­stein­höh­len, einen wei­te­ren Rück­schlag hin­neh­men: Ein erst jetzt erkann­ter, aller­dings unbe­wohn­ter Adler­horst stopp­te das Vor­an­schrei­ten der Auto­bahn erneut. Drei Jah­re muss ein ver­wais­ter Adler­horst nach der EU-Vogel­schutz­richt­li­nie erhal­ten blei­ben, ehe die Rück­kehr der Bewoh­ner, die auch mit Wech­sel­hors­ten arbei­ten, aus­ge­schlos­sen wer­den kann. Geg­ner des Auto­bahn­baus betrach­ten die Adler inzwi­schen als „Hoff­nungs­trä­ger“. Im Heu­cken­lock ver­strich nicht ein­mal ein Jahr. Für Inter­es­sier­te sei gesagt: Da das Natur­schutz­ge­biet Heu­cken­lock in die­sem Bereich gesperrt ist, bie­tet sich auf der ande­ren Sei­te der Süd­er­el­be der Bereich um den Yacht­club Neu­land zur Beob­ach­tung des Gesche­hens an. Und tat­säch­lich: Im Janu­ar 2015 konn­te man die Adler erneut bei der Ver­voll­stän­di­gung ihres Nes­tes beob­ach­ten. Als Bene­dikt Domin durch sein schar­fes Glas auch noch erken­nen konn­te, dass das Ehe­paar 6–10 Mal am Tag kopu­lier­te (!), hat­te er Gewiss­heit, dass doch wie­der die Auf­zucht von jun­gen Adlern im Heu­cken­lock fest geplant war. Mit wel­cher Freu­de er spä­ter den Jung­vö­geln beim Schlem­men im Ebbe + Flut-Whirl­pool zuse­hen konn­te, kön­nen wir uns leicht vor­stel­len. Auch in die­sem Jahr sind die Adler bereits gesich­tet wor­den. Ich selbst habe sie von Neu­land aus gesehen.

Unser Redakteur Michael hat sich für uns ins Dickicht gewagt
Unser Redak­teur Micha­el hat sich für uns ins Dickicht gewagt

Wir kön­nen uns also auf eine neue Genera­ti­on See­ad­ler in Wil­helms­burg freu­en! Die IBA hat Wil­helms­burg zu einer zukunfts­wei­sen­den Ent­wick­lung ver­hol­fen. Aber wie schön ist es, zu sehen, dass Euro­pas größ­te Flus­s­in­sel dar­über hin­aus eige­ne, unver­wech­sel­ba­re Qua­li­tä­ten wie eine See­ad­ler­fa­mi­lie besitzt, die die­ser Insel – allen Wid­rig­kei­ten zum Trotz – und, wenn man so will, als „Hoff­nungs­trä­ge­rin“, die Treue hält.

 

 

 

 

[info­box title=‚UM NACHDENKLICH MACHEN‘]Der Wil­helms­bur­ger Foto­graf Ger­hard Bro­dow­ski, der seit vie­len Jah­ren aus­sa­ge­kräf­ti­ge Natur­fo­to­gra­fien in mühe­vol­ler Arbeit erstellt, ist inzwi­schen bein­hart gewor­den, wenn es um Stö­run­gen der Tier­welt, also auch um die Lebens­räu­me der See­ad­ler in Wil­helms­burg geht. Ein Schwer­punkt sei­ner aner­ken­nens­wer­ten Tätig­keit sind inzwi­schen Fotos, die die Ver­bre­chen an der Umwelt für jeden anschau­lich dar­stel­len. Das Foto, das den wahr­schein­lich tod­ge­weih­ten jun­gen See­ad­ler beim Fres­sen von Plas­tik zeigt (der Magen wird voll, der See­ad­ler ver­hun­gert aber gera­de des­halb!), hät­te ich hier gern ver­öf­fent­licht. Das lehnt er ab. Auf www.brodowski-fotografie.de kann sich der inter­es­sier­te Leser gleich­wohl genau­es­tens informieren.[/infobox]

 

Das Heu­cken­lock soll­te bit­te nicht im gesperr­ten Bereich betre­ten werden!

Wahr genom­men wer­den soll­ten statt­des­sen die geführ­ten Wan­de­run­gen, so z.B. am Oster­mon­tag, den 28. März 2016, eine betreu­te Fami­li­en­ex­kur­si­on des Elbe-Tide­au­en­zen­trums Bunt­haus. Treff­punkt ist 11:15 Uhr an der Bus­hal­te­stel­le Heu­cken­lock. Teil­nah­me­preis: Erwach­se­ne 3 Euro, Kin­der 2 Euro.