Donnerstag, 11. Oktober 2018, 18:15 Uhr, Roten- Häuser- Straße 73a, EckeWelt-Gewerbehof.
Ziel: FreiwilligeFeuerwehrWilhelmsburg: F‑3918von 1991.
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Stellt euch mal vor, ihr liegt kuschelig im Bettchen und schlaft den Schlaf der Gerechten. Oder ihr steht beim Discounter eures Vertrauens an der Kasse mit eurem Monatseinkauf. Oder ihr seid gerade in der Wanne. Und plötzlich: Pieeeeeeep, Pieeeeeeep, Pie- eeeeeep.….!!!!!!!!
Euer digitaler Meldeempfänger gibt sympathisch, eindringlich sein ohrenbetäubendes Signal ab. Eine Art old-school-SMS ist auf dem Display zu lesen: Einsatz für die Freiwillige Feuerwehr! Eine kurze Info, was einen erwartet: Der „die Schadensart, zum Beispiel „Feuer“, oder mit Y- Personenschaden. Als freiwilliger Feuerwehrmann oder ‑frau springt ihr also mit Leidenschaft aus dem kuscheligen Bettchen, greift irgendeine Klamotte, hüpft in eure parat stehenden „Feuerwehr-Renn-Schlappen“, lasst den kompletten Einkauf einfach auf dem Band des Discounters liegen, murmelt ein konsequentes „Sorry, ich hab Einsatz!“, oder springt klatschnass aus der Wanne und hechtet mit nassen Haaren und irgendwas am Körper zur Wache …
Und dafür habt ihr satte 5 Minuten Zeit! „Kein Problem“, meint die 20 Personen starke Truppe der FF Wilhelmsburg. „Das machen wir sogar sehr gern! Das schafft die Truppe sogar bei im Schnitt 90 Einsätzen im Jahr. Unser erstes Löschfahrzeug verlässt spätestens nach fünf Minuten die Halle. Das schaffen wir immer.
Wir wohnen auch alle recht nah rund um die Wache, das muss sein. Komplett ist unser Löschzug dann mit einem Einsatzleitwagen, zwei Löschfahrzeugen und einer Drehleiter. Mit 6 Leuten unterstützen wir immer die Berufsfeuerwehr, die mit 10 Hauptberuflichen auf einem Löschfahrzeug ausrückt“, erklärt mir als Erstes Lennart Lucius, der seit zwei Jahren das Amt des Wehrführervertreters bekleidet. Ich merke sofort, die Truppe, mit der ich mich hier verabredet habe, ist Feuer und Flamme für ihr Ehrenamt. Gemeinschaft und Engagement sind die Basis. Nun muss ich mich aber stark konzentrieren, um die ganze Struktur zu verstehen. Aber der Laden hier muss ja auch streng nach Hamburger Auflagen geregelt sein, damit im Notfall alles brandschnell geht. „Wir haben hier als einzige FF (ja, FF ist die offizi elle Abkürzung für Freiwillige Feuerwehr, vielleicht auch, weil sie ihren Job aus dem FF können!) in Hamburg die Berufsfeuerwehr gleich nebenan. Das ist klasse. Kurze Wege zu den netten Kollegen, direkt hinten rum.
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Unsere Kollegen von der BF haben es ja immer noch eiliger als wir. Die müssen in 1:30 Minuten den Hof mit Blaulicht verlassen. Allerdings sind die ja auch in der Wache, haben 24 Stunden Schicht und müssen nur noch in ihre Ausrüstung springen. „Da sind 1:30 direkt Luxus“, meldet sich nun der Boss, Wehrführer Stefan Leder, schmunzelt zu Wort. Aha, man muss also den Unterschied kennen. BF Berufsfeuerwehr und FF Freiwillige Feuerwehr, da kann man sonst übel ins Fettnäpfchen treten. Und genau das ist ja meine Stärke. Es fing heute schon damit an, dass ich verträumt und ahnungslos zuerst um 18:15 Uhr bei der Berufsfeuerwehr klingelte. Der freundliche Beamte der mir dort öffnete lächelte milde. Typischer Anfängerfehler. „Einmal um die Ecke!“ Ach so. Peinlich. „Ein klassisches Beispiel der Verwechselung ist auch, wenn wir Pizza hierher bestellen. Merke: Nie vorher bezahlen! So oft landet unsere leckere Pizza bei der BF. Die Jungs freuen sich dann über den überraschenden, kostenlosen Snack“, plaudert Stefan amüsiert aus dem lustigen Nähkästchen. Außerdem unterscheidet sich die Uniform der FF von der BF fast nicht – bei beiden steht „Feuerwehr Hamburg“ auf dem Rücken. Die FF-Jungs sehen also genauso cool aus wie ihre Berufskollegen. Auch die Löschfahrzeuge unterscheiden sich kaum. Da muss der Laie schon auf die Bezeichnung schauen. Und wer schafft das schon, wenn die Fahrzeuge schnell wie die Feuerwehr vorbeidonnern.
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Ich lerne weiter: 18 Berufsfeuerwehrwachen gibt es in Hamburg. Dazu kommen sage und schreibe 85 Freiwillige Wachen plus die auf Neuwerk, der Insel vor Cuxhaven, die witziger Weise zu Hamburg gehört. Aber wie geht das dann hier ab, nachdem der charmante Pieper alle Freiwilligen in die Wache befohlen hat, frage ich in die Runde. „Wir starten sofort! Dazu haben wir hier einen Einsatzplan. Hier notieren wir, wer im Urlaub ist oder zu weit weg, um es in 5 Minuten zu schaffen. Job und Privatleben laufen ja weiter. Wer also auf einer Feier ist, oder abends jobßig unterwegs ist, der meldet sich ab. Überhaupt sind wir eine 18 Uhr Wache. Das bedeutet, dass wir unter der Woche von 18–6 Uhr einsatzbereit sind. Dazu kommen Sondereinsatzanfragen. Das ist bedingt durch unsere Jobs – keiner von uns arbeitet auf der Insel. Wir sind hier eine der jüngeren Truppen in Hamburg. Altersdurchschnitt 32 Jahre, da ist jeder tagsüber im Job gebunden“, erläutert Lennart, der mit 26 Jahren ein junger Wehrführervertreter ist. Aber auch schon mit 12 Jahren angefangen hat. Ein Fahrer, zwei Mann Angriffstrupp, die nach Lehrgang ins Feuer dürfen, zwei Allrounder für die Ausrüstung und ein Einsatzleiter starten demnach spätestens nach den magischen fünf Minuten. 32 Mann und Frau stark ist die FF Wilhelmsburg zurzeit. Darunter auch einige, die bereits das Upgrade in die Ehrenabteilung genießen. „Altersbedingt rutscht man mit 60, maximal mit 63 Jahren die Treppe in die Ehrenabteilung hinauf. Dann braucht es keine Einsätze mehr, die Gemeinschaft weiter genießen auf Feiern oder auch bei unserem wöchentlichen Übungsdienst, immer donnerstags um 19 Uhr hier in der Wache.“ Dieser Termin ist übrigens auch der Kennenlern-Termin für alle, die sich für die FF interessieren. Donnerstags gibt es bei uns theoretische und praktische Übungen, oder auch mal wie heute ein Interview“, lacht Stefan Leder. Spaß bei Seite, heute sind eigentlich aufräumen und sauber machen der Wache angesagt, das verschiebt sich dann wohl etwas nach hinten. Macht ja nix. Wer also neugierig ist auf die FF, Lust darauf hat, dem Feuer den Kampf anzusagen, gerne niedliche Tiere aus der Not befreit, ein Teamplayer ist, Engagement für Menschen in Not zeigen will, der ist in dieser „Kumpel-Truppe“ genau richtig. Apropos Kumpel. Es gibt hier auch so einige Kumpel*Innen. Mir gegenüber sitzen gleich zwei. Meike Hingeberg-Pedersen ist Mutter von zwei Kindern (9 J. & 3 J.) und ihrem Ehemann. Mit 37 Jahren macht sie gerade den LKW-Führerschein, um die großen Löschfahrzeuge fahren zu dürfen. Das finde ich mehr als cool. Dieses olle Argument, man hätte keine Zeit für ein Ehrenamt oder Hobby. Quatsch. Meike macht es vor, als Gärtnerin ist sie voll im Job und ihr Mann ist Schichtgänger. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit und kann es einrichten.
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Und wenn es mal wegen der Kids nicht geht, kriegt die Truppe dies frei nach dem Motto „Alle für einen, einer für alle“ hin. Neben Meike sitzt Patricia, frisch dekoriert mit zwei roten Schulterstreifen. Ein heimlicher Blick auf alle anwesenden Schultern hat mir schon offenbart, dass es da echte Unterschiede gibt. Silber, rot, ein oder zwei Streifen, oder eben noch kein Streifen. Patricia hat ihre zwei roten gerade stolz erhalten. Mit 23 Jahren ist sie nach einem Lehrgang nun Truppführerin. Glückwunsch! Auch Patricia geht in ihrem freiwilligen Privatleben ihrem Job als Erzieherin nach und ist seit 2008 ganz heiß auf die FF. Patricia hat auch schon eine niedliche Tierrettung hinter sich. „Einsatz: Eichhörnchen treibt hilflos an der Schleuse Ernst-August-Kanal.“ Mit Käscher und Watthose bewaffnet und Großaufgebot der FF kam sie dem tapferen Eichhörnchen zur Hilfe. „Das war ein schweres Unterfangen. Ich musste unseren Einreißhaken nutzen, um an das Eichhörnchen heranzukommen. Dann ging es rund. Erst hatte ich es, es zwickte mich in den Finger, es rutschte mir weg, entkam, ohne Dankeschön für die Rettung zu sagen. Wir wollten jedoch wissen, ob es ihm gut ging. Daher suchten wir rundum im Gebüsch. Nix zu finden. Am Ende sahen wir, dass es putzmunter an der Wade eines Kollegen hing“, erinnert sich Patricia lachend. Katzen retten von Bäumen ist der Klassiker, oder auch aus brennenden Häusern, in die die geschockten Tiere manchmal nach Rettung wieder reinrennen wollen.
Aber wie wird man denn nun ein waschechter FFler, interessiert es mich brennend. Das erklärt mir dann Moritz Hansen, der mich hierhergelockt hat. Moritz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die FF Wilhelmsburg dem Insulaner näherzubringen, mit Veranstaltungen, Aktionen, einer neuen Homepage in 2019 und einer Facebook-Fanpage, die einen immer mit brandneuen News versorgt. Tipp also: Facebook-Fan der FF Wilhelmsburg werden! Dann gibt es rechtzeitig Infos zu solch tollen Veranstaltungen wie Laternen-Basteln, ‑Umzug, Skyline-Run, Aktionen auf dem Reiherstiegsfest oder dem FlohZinn. Zurück zu Moritz, der vor 2 Jahren diese heiße Leidenschaft für sich wiederentdeckt hat. Mit 12 Jahren war er bereits bei sich auf dem Dorf im tiefsten Hessen in der Jugendfeuerwehr. Nun mit 34 Jahren ist er groß genug für die FF. Nun nimmt er als Allround-Helfer an den Einsätzen teil, sozusagen wie ein Praktikant. Nach 2–3 Monaten gegenseitigen Beschnupperns, entscheidet die Gemeinschaft, ob er ins Team passt. Diesen Test hat er bereits positiv bestanden. Der nächste Schritt ist die 2‑jährige Probezeit, während der er und eben alle FF-Neulinge die Grundausbildung durchlaufen. Dann folgt die Prüfung, nach der er sich ein echter FF nennen darf!
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Nun bin ich natürlich heiß auf Aktion, echte Einsätze, mit Feuer, rauch und so. Die echten Einsatzgeschichten behandelt das Team jedoch mit viel Respekt vor dem Notfall und den Beteiligten. Da fällt kein Detail, welches nicht DSGVO- konform ist. „Die Grillparty des Jahres hatten wir an der oberen Georg-Wilhelm-Straße. Der Rauchpilz war extrem weit zu sehen. Wir waren mit 7 Fahrzeugen vor Ort. Ganz sorglos war da ein kleines Feuerchen im Hof angesetzt worden. Europaletten, Zäune, Wohnungstür, alles, was gut brennt und weg musste, war der Brandherd. Dass das völlig aus dem Ruder läuft, verboten ist und eine mega Rauchentwicklung hat, mal abgesehen davon, dass große Gefahr besteht für angrenzende Häuser, war hier wohl den Machern nicht klar. Das war eine teure Party“, erinnert sich Lennart. Auch die Wilde 13, der Bus hat seinem Namen in FF-Kreisen alle Ehre gemacht. Mit aufgerissenem Tank, defektem Ölfilter, zog der Bus auf seiner Linie Veddel-Kirchdorf-Süd eine lange Ölspur. Die musste dann natürlich mit Ölbindemittel abgestreut werden. Schnell gemacht, auf der langen Strecke.
Ende eines jeden Jahres geht es dann immer noch mal heiß her. Dann heißt es Jahresabschlussübung unter Einsatzbedingungen. Man kann ja leider nicht einfach mal die große Drehleiter am Haus seines Schwarms anstellen, anklopfen und sagen: „Das ist nur eine Übung, bitte bleiben Sie ruhig. „Übungen müssen also geplant und angemeldet sein. Außerdem darf auch nicht einfach aus Spaß zum Üben ein Feuerchen entfacht werden. Dafür gibt es dann diesen tollen Rauch aus der Nebelmaschine, wie wir ihn aus der Disco (ach, es heißt ja Club heutzutage) kennen. Organisiert wird diese Übung immer von einem aus dem FF-Team. Im letzten Jahr hat Feuerwehrmann Okan Özturk das ganz große Kino aufgefahren. Und keiner der Truppe wusste, was ihn erwartet: Gefahrenlage „TH Y“ – Verkehrsunfall mit Menschenleben in Gefahr. Ein PKW mit 2 Insassen war den Deich runter gekracht. Eine Person wurde aus dem Auto geschleudert und eine war eingeklemmt. „Wenn man da ankommt und das sieht, geht der Puls hoch wie bei einem echten Einsatz. Jeder Handschlag muss sitzen, es muss blitzschnell gehen. Unfallstelle sichern und Personenrettung mit schwerem Gerät Hand in Hand“, erinnert sich Okan wieder etwas aufgeregt an die toll gelungene Schadenslage.
Und was macht man eigentlich nach so einem Einsatz, frage ich das Team: „Zuerst die Einsatzbereitschaft wieder herstellen. Dann, je nachdem, wie schlimm es war, hier in der Wache in der Gruppe gemeinsam runterkommen, sich gegenseitig auffangen, immer eine Cola zusammen trinken. Für harte Fälle gibt es unsere Seelsorge rund um die Uhr. Es braucht eine Weile, bis man ruhiger ist und wieder nach Hause fährt“, kann Stefan Leder der in 2019 sein 25. Dienstjubiläum bestreitet, berichten, die meiste Erfahrung.
Kurz bevor wir vom Besprechungstisch aufstehen, um wertvolle und lustige Fotos zum Bericht zu knipsen, hat Okan eine Antwort auf meine Frage: „Was wollt ihr den Wilhelmsburgern mal sagen?“
Okan: „Seid doch nicht so schüchtern! Wir sind hier offen für jeden, international und für jede Generation.“ Genau, lieber Okan und liebes FF-Team Wilhelmsburg. Das seid ihr! Ihr seid halt Wilhelmsburg: Nicht schüch-tern, offen, international und generationsübergreifend!
Kontakt & Infos:
www.facebook.com/FreiwilligeFeuerwehrWilhelmsburg