Entdeckungstour Georgswerder

Foto@Alice: Der herrliche Frühlingstag bei sonnigem Wetter bietet beste Umstände, um die Landschaft von Georgswerder zu erkunden: Natur pur –und das nur ein Viertelstündchen von meiner Haustür entfernt!
Foto@Alice: Der herrliche Frühlingstag bei sonnigem Wetter bietet beste Umstände, um die Landschaft von Georgswerder zu erkunden: Natur pur –und das nur ein Viertelstündchen von meiner Haustür entfernt!

Wilhelmsburg/Georgswerder. Obwohl die­ser Tage mein zehn­tes Jahr als Bewoh­ne­rin der Ved­del beginnt und ich mich häu­fig im Rei­her­stiegvier­tel her­um­trei­be, bin ich bis jetzt doch sel­ten auf die Idee gekom­men, mir mal ein ande­res Nach­bar­quar­tier genau­er anzu­se­hen: Georgswerder.

Erst im letz­ten Jahr habe ich her­aus­ge­fun­den, dass hin­ter dem Auto­hof an der Abfahrt Georgs­wer­der eine ver­steck­te Filia­le eines gro­ßen Fast Food Restau­rants exis­tiert. „Das ist doch neu“, dach­te ich mir da, doch weit gefehlt: Das Schnell­re­stau­rant hat es ein­fach meh­re­re Jah­re geschafft, von mir unent­deckt zu blei­ben, obwohl Pom­mes und Milch­shakes nur weni­ge Minu­ten Fuß­weg ent­fernt sind. Tat­säch­lich erreicht man nur eini­ge hun­dert Meter hin­ter der Ball­in­stadt bereits die Brü­cke, die den Orts­ein­gang von Georgs­wer­der kenn­zeich­net und von da ist es gleich um die Ecke. Eine klei­ne Horizonterweiterung!

Doch nun soll Schluss sein mit der Plan­lo­sig­keit, ich mache mich auf Ent­de­ckungs­tour durch das bis jetzt von mir ver­nach­läs­sig­te Quar­tier – dies­mal auch abseits der Hauptstraße!

Trotz knapp 2000 Bewohner*innen hat Georgs­wer­der mehr Klein­gär­ten als Wohn­häu­ser. Neben den klas­si­schen Holz­lau­ben ste­hen in eini­gen Gär­ten sogar noch gemau­er­te Behelfs­hei­me aus der Zeit nach dem zwei­ten Welt­krieg, in denen die Bewohner*innen lebens­lan­ges Wohn­recht genießen

Denn wenn man die­se ver­lässt, fällt einem sofort der dörf­li­che Cha­rak­ter des Stadt­teils auf. Frü­he­re Anwohner*innen berich­ten mir, dass es nicht lang her ist, dass hier wirk­lich alle sich kann­ten und man sich gegen­sei­tig auf der Stra­ße gegrüßt hat. Trotz der Diver­si­tät und Viel­falt im Stadt­teil, hat hier ein Kli­ma von Ver­traut­heit und Offen­heit geherrscht. Lei­der sind vie­le jun­ge Leu­te mitt­ler­wei­le weg­ge­zo­gen, aber sie wün­schen sich, dass der Charme und der Cha­rak­ter der ver­gan­ge­nen Zeit auch in die Plä­ne für das zukünf­ti­ge Georgs­wer­der ein­flie­ßen sollen.

RUHIG IST ES HIER
UND SO SCHÖN GRÜN.

Wel­che beson­de­re Atmo­sphä­re sie mei­nen, wird zwi­schen den vie­len Schre­ber­gär­ten mit den alten Obst­bäu­men schnell klar. Hier lässt sich ver­ges­sen, dass man sich nur rund fünf Kilo­me­ter Luft­li­nie vom Rat­haus befin­det. Die freund­li­chen Gärtner*innen sind schnell zu einem klei­nen Plausch bereit und erzäh­len, was ihnen am Stadt­teil gefällt. „Ruhig ist es hier und so schön grün.“ In Georgs­wer­der gibt es mehr Schre­ber­gär­ten als Wohn­häu­ser, wes­halb hier bei schö­nem Wet­ter rasch eine gewis­se Urlaubs­stim­mung aufkommt.

Doch auch die angren­zen­de Wohn­be­bau­ung erin­nert mich mit den vie­len Spiel­stra­ßen an das Ham­bur­ger Umland. Bei den Neu­bau­ten domi­nie­ren Ein­fa­mi­li­en­häu­ser mit hüb­schen Gär­ten davor. In der Nach­bar­schaft rund um die klei­nen Stra­ßen, die gern „Hövel“ im Namen tra­gen, was auf Nie­der­deutsch so viel wie „klei­ne Erhö­hung“ oder „Hügel“ bedeu­tet, erin­nert nicht mehr viel an den ers­ten Ein­druck, den die Haupt­stra­ße anfangs ver­mit­telt. Denn dort ver­fal­len lei­der häu­fig die alten Häu­ser, die man­che Anwohner*innen als das Herz des Stadt­teils beschreiben.

Seit 2010 exis­tiert der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein „Künst­ler­haus Georgs­wer­der“. An zahl­rei­chen Kunst-und Ate­lier­ta­gen hat das Kol­lek­tiv bereits teil­ge­nom­men und auch über das Jahr vie­le Aus­stel­lun­gen orga­ni­siert. Zuletzt fand Anfang des Jah­res eine Aus­stel­lung zum Tag der Buch­druck­kunst mit Lin­ol­schnitt, Ätz­ra­die­run­gen und Mono­ty­pien statt.

Hügel sind ein wich­ti­ges Merk­mal von Georgs­wer­der. Der größ­te von ihnen, der „Ener­gie­berg Georgs­wer­der“ befin­det sich im Osten. Zu trau­ri­ger Berühmt­heit hat es die­se Erhö­hung in den acht­zi­ger Jah­ren gebracht. Die Müll­de­po­nie, auf die über die Nach­kriegs­jah­re vie­le Ton­nen von Trüm­mern und ande­ren Son­der­ab­fäl­len geschüt­tet wur­de und die den Anwohner*innen als „Müll­berg“ bekannt war, wur­de 1979 still­ge­legt. Weni­ge Jah­re spä­ter wur­de bekannt, dass die Depo­nie gif­ti­ge Dioxi­ne durch­si­ckern ließ und damit auch das Grund­was­ser verseuchte.

Der Berg wur­de dar­auf­hin ver­sie­gelt und in den 2000er Jah­ren im Rah­men der inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung zum rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie­berg umge­baut. Oben auf dem Berg steht der Wind­park und am Süd­hang fin­det sich eine gro­ße Foto­vol­ta­ik­an­la­ge, wo erneu­er­ba­re Ener­gie her­ge­stellt wird. So leis­tet Georgs­wer­der einen wich­ti­gen Bei­trag, zum Kli­ma­schutz und kann 4000 Ham­bur­ger Haus­hal­te mit Strom ver­sor­gen. Für die Öffent­lich­keit wur­de der Berg 2013 geöff­net. Eine gro­ße Aus­sichts­platt­form mit einem Sky­walk rund um den Berg her­um und einem atem­be­rau­ben­den Aus­blick, stellt die größ­te Attrak­ti­on von Georgs­wer­der dar.

DIE IDYLLISCHE
LAGE LOCKT AN.

Seit Kur­zem bie­tet auch der ansäs­si­ge Fuß­ball­ver­ein „Vor­wärts Ost“ wie­der mehr Ange­bo­te zur Frei­zeit­ge­stal­tung. In der Nähe des Wohn­ge­biets liegt sowohl die Kita Deich­pi­ra­ten als auch das alte Schul­ge­bäu­de. Hier im Alt­bau sind seit zehn Jah­ren ver­schie­de­ne Künstler*innen in Ate­liers ansäs­sig, die das Gebäu­de vor dem Abriss bewahrt und dort den Ver­ein „Künst­ler­haus Georgs­wer­der“ gegrün­det haben. Mitt­ler­wei­le steht das Gebäu­de unter Denk­mal­schutz. Im neue­ren Teil des Hau­ses fin­det Schul­be­trieb der Elb­in­sel­schu­le statt, die an zwei Stand­or­ten ver­tre­ten ist, wobei im grü­nen Georgs­wer­der mit der Nähe zum Was­ser pas­sen­der­wei­se das Pro­fil Natur und Umwelt ange­sie­delt ist.

Nur einen Kat­zen­sprung von der Schu­le ent­fernt, direkt hin­ter dem gro­ßen Sport­platz, befin­det sich die Dove Elbe. Hier erin­nert nun wirk­lich nichts mehr an Groß­stadt, denn die Wege am Ufer sind nur zu Fuß oder mit dem Rad zu erkun­den. Male­risch liegt dort der klei­ne Hafen des Motor-Yacht-Club-Dove-Elbe-Wil­helms­burg e.V., an den Rän­dern grün­deln zwi­schen den See­ro­sen die Enten. Die Dove Elbe säumt ganz Georgs­wer­der nach Wes­ten hin. Die idyl­li­sche Lage lockt an! Immer wie­der sehe ich Aus­hän­ge wie „Haus gesucht“ an den Later­nen. Kein Wun­der, denn hier gibt es schö­ne Grund­stü­cke direkt am Was­ser, wo die Kanus schon bereit lie­gen. Freund*innen des Was­ser­sports kön­nen hier voll auf ihre Kos­ten kommen!

Der Wan­der­weg ent­lang der Dove Elbe ist knapp einen Kilo­me­ter
lang und bie­tet sehr schö­ne Ecken. Man fin­det klei­ne sichtgeschützte
Wie­sen, die sich bes­tens für ein Pick­nick mit Blick auf
den Fluss eige­nen. Auch weni­ger dicht bewach­se­ne Uferstücke
sind vor­han­den, an denen man an einem hei­ßen Som­mer­tag
schnell mal die Füße im kühlen Nass erfri­schen kann.

Ich habe Georgs­wer­der also unter­schätzt! Das pas­siert sicher eini­gen, schließ­lich gibt es hier lei­der kei­ner­lei Nah­ver­sor­gung, bis auf ein paar klei­ne Kios­ke, wie mir auch das Team des ein­zi­gen Restau­rants „Kup­fer­krug“ berich­tet. Es könn­te mehr getan wer­den, schließ­lich gab es frü­her mal einen Super­markt, eine Post und sogar einen Schus­ter, so erzäh­len mir die Alt­ein­ge­ses­se­nen. In den vier­zi­ger und fünf­zi­ger Jah­ren war hier sogar noch mehr los! Am Wochen­en­de konn­te man in die Dis­ko­thek gehen und sogar ein Kino gab es frü­her in Georgs­wer­der und in fast jedem Haus befand sich ein Gewer­be­be­trieb, wovon die gro­ßen Schau­fens­ter eini­ger Häu­ser noch heu­te zeugen.

Doch auch die IBA hat in den Augen der Anwohner*innen lei­der noch kei­nen so gro­ßen Aus­schlag gege­ben, wie zuerst erhofft, denn die Ver­än­de­run­gen im Stadt­teil gehen schlep­pend vor­an. Erst weni­ge Ideen aus dem von der IBA erstell­ten „Zukunfts­bild Georgs­wer­der 2025“ wur­den bis heu­te über­haupt ange­gan­gen und die Umset­zung liegt mitt­ler­wei­le auch nicht mehr bei der IBA. Erst jetzt im Jahr 2020 beginnt die Bebau­ung der Kir­chen­wie­se. Dort wo vor eini­gen Jah­ren noch Kühe gras­ten, soll ein wei­te­res Wohn­ge­biet im Stadt­teil ent­ste­hen und viel­leicht auch die Ansie­de­lung von Läden wie­der mög­lich wer­den. Dazu wünscht sich die Anwoh­ner­schaft, dass das Neu­bau­ge­biet den Rest des Stadt­teils klug ergänzt, den dörf­li­chen Cha­rak­ter bei­be­hält und kei­nes­falls iso­liert davon entsteht.

Um ein prü­fen­des Auge auch auf die geplan­ten Bau­maß­nah­men zu haben, trifft sich regel­mä­ßig der Arbeits­kreis Georgs­wer­der. Hier haben sich enga­gier­te Anwohner*innen, von denen Georgs­wer­der eine gan­ze Men­ge hat, zusam­men­ge­tan, um ihre Wün­sche wie die Ver­schö­ne­rung des Orts­ein­gangs, die Besei­ti­gung von Müll oder die Gestal­tung eines Dorf­plat­zes zu for­mu­lie­ren und für deren Durch­set­zung einzustehen.

Die Linie 154 fährt den gesam­ten Nie­der­ge­orgs­wer­der Deich ent­lang. Hier an der Haupt­stra­ße fin­den sich vie­le hübsche Gebäu­de, lei­der sehen eini­ge aber auch ziem­lich her­un­ter­ge­kom­men aus. Die Anwoh­ner­schaft bemän­gelt auch feh­len­de Park­mög­lich­kei­ten in ihrem Stadt­teil. Wegen der feh­len­den Nah­ver­sor­gung sind die Men­schen häu­fig auf das Auto zum Ein­kau­fen angewiesen.

Ich habe bei mei­nem Spa­zier­gang den Ein­druck gewon­nen, dass der Stadt­teil sicher­lich noch etwas Auf­merk­sam­keit von der Stadt ver­tra­gen könn­te, um Miss­stän­de zu besei­ti­gen und den Anwohner*innen noch mehr Lebens­qua­li­tät zu geben. Georgs­wer­der bringt aber auch schon unglaub­lich viel Poten­zi­al mit auf­grund des dörf­li­chen Cha­rak­ters und der gleich­zei­ti­gen Nähe zur Stadt. Die von den Bewohner*innen viel geprie­se­ne Ruhe im Stadt­teil und die vie­le Natur, sind in Georgs­wer­der noch prä­sen­ter als auf der Ved­del oder im Rei­her­stiegvier­tel. Und dank des Ein­sat­zes der Anwoh­ner­schaft, bin ich guter Din­ge, dass die Ent­wick­lung des Stadt­teils in die rich­ti­ge Rich­tung gehen wird.

Mein Elb­in­sel­wis­sen ist jetzt bereits um vie­le sehr schö­ne Ecken erwei­tert, die ich sicher bald wie­der besu­chen werde.