Ich bin ein Insulaner

Detlev Bede Lüdemann schaut durch die Inselbrille

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Mein ers­tes Inter­view für WIP. Ich bin natür­lich auf­ge­regt. Bede nimmt mir durch sei­ne ent­spann­te ruhi­ge Art sofort die Ner­vo­si­tät und wir stür­zen uns ins Gespräch. Alle nen­nen ihn Bede. Ist das sein rich­ti­ger Name oder woher kommt er denn? Er hat ihn schon seit sei­nem Klein­kind­al­ter, sagt er mir. Sein bes­ter Freund konn­te den Namen Det­lev nicht aus­spre­chen und es wur­de Bede dar­aus. Auch wenn Det­lev etwas woll­te, war er zwar sehr höf­lich, konn­te aber das Wort „Bit­te“ nicht aus­spre­chen, also wur­de Bede dar­aus. Sei­ne Eltern übernahmen die­sen Spitz­na­men und so heißt er bis heu­te. Bede soll nun auch in sei­nen Pass als eigen­stän­di­ger Name ein­ge­tra­gen wer­den, so wie z. B. Ole (von Beust) das auch gemacht hat.

_MG_7639Mei­ne nächs­te Fra­ge bezieht sich dann aber auch schon sofort aufs Insel­le­ben und wie Bede das so sieht. Mal so durch die Insel­bril­le geschaut: Gibt es etwas Bestimm­tes, das er ger­ne erzäh­len möch­te, oder etwas Aktu­el­les? „Ich fin­de es sehr inter­es­sant, wie sich der Stadt­teil in den letz­ten 30 Jah­ren ent­wi­ckelt hat. Jede Woche fällt mir etwas Neu­es auf, was sich ver­än­dert“, sagt er. Dazu gehö­re auch ich. Leu­te, die neu auf die Insel kom­men, ein Geschäft über­neh­men und versuchen
sich hier nie­der­zu­las­sen. Oder auch so wie Vol­ker mit sei­ner Kaf­fe­klap­pe, die ja sehr erfolg­reich läuft. Ein ande­res Bei­spiel, das er aber auch als bundesweites
Phä­no­men sieht, ist die Großzügigkeit gegen­über Flüchtlingen. „Das ist neu und ein Rie­sen­ding“, unter­streicht er, „wird aber von der Poli­tik auch aus­ge­nutzt.“ Das Ein­wan­der­tum sei nicht neu, aber die Gast­freund­schaft und Tole­ranz hät­ten zuge­nom­men. Auch eine gewis­se Läs­sig­keit sei ein­ge­tre­ten. In den 80 – 90er-Jah­ren war die­ser Umbruch den Alt­ein­ge­ses­se­nen zu fremd und es hat­te nega­ti­ve Fol­gen. Geschäf­te schlos­sen und vie­le jun­ge Fami­li­en zogen weg, da sie kei­ne Zukunft mehr hier sahen. Jetzt sei es aus ver­schie­de­nen Gründen so, dass die Men­schen, die hier neu ankom­men, sehr gut auf­ge­nom­men wür­den. Das kann ich als Neu-Wil­helms­bur­ge­rin aus eige­ner Erfah­rung nur bestä­ti­gen, bemer­ke ich. „Ja, und das ist toll, denn es hebt natürlich die Stim­mung, macht das Leben für alle leich­ter und prägt auch das Stra­ßen­bild und die Zufrie­den­heit“, plau­dert er mit einem Lächeln im Gesicht. Auch als er vor 32 Jah­ren hier­her kam und seinen
Buch­la­den eröff­ne­te, wur­de er will­kom­men gehei­ßen und hat­te vom ers­ten Tag an Kun­den. Die­se waren sehr froh über das Geschäft, da der letz­te Buch­la­den in den 60ern bei der Flut abge­sof­fen war und nicht wie­der eröff­net wur­de. Anders, als es ihm gesagt wur­de, gab es kei­ne Vor­be­hal­te gegenüber Zuge­zo­ge­nen. Es war damals schon so, dass Wil­helms­burg ein Son­der­ter­rain war, an dem man dran vor­bei­fuhr – aber bit­te nicht aus­stei­gen! Da leben die Rocker oder die schlim­men Jungs, wur­de gemun­kelt, spä­ter die Tür­ken­boys oder ‑gangs. „Das waren alles Kli­schees, also mehr oder weni­ger über­trie­be­ne Ängs­te oder Geschich­ten, die von der Wirk­lich­keit nie rich­tig bestä­tigt wur­den“, erzählt Bede.

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Er erin­ne­re sich noch ans Ende der 80er-Jah­re, als die tür­ki­schen Gangs vom Gefühl her ziem­lich stark waren und einen schlim­men Ruf hat­ten. Neo­na­zis aus
Ber­ge­dorf kündigten am 20. April eine Demo in Wil­helms­burg an, um den Geburts­tag von Hit­ler zu fei­ern und um Flag­ge gegen Aus­län­der zu zei­gen. Dar­auf­hin hat­ten so ziem­lich alle türkischen Geschäf­te dicht gemacht, alles ver­bar­ri­ka­diert. Die türkischen Gangs wur­den nicht gese­hen und die Nazis dann auch nicht. Es hat­ten wohl alle Angst.

 

Gott sei Dank ist nichts pas­siert. Es ist aber ein gutes Bei­spiel für die Zeit, in der eine Stim­mung auf­ge­bauscht wur­de und in der die Stadt­tei­le doch sehr sepa­riert waren. „Heut­zu­ta­ge wür­de so etwas gar nicht pas­sie­ren, weil die sozia­len Netz­wer­ke sofort etwas streu­en würden, 100 Auto­no­me aus St. Pau­li hierüber kom­men würden oder eher 500. Eine neue Art von Soli­da­ri­tät ist unter den Stadt­tei­len ent­stan­den“, erläu­tert er. Wie siehst du denn die Ver­än­de­run­gen durch die IBA und IGS? „Das war ein nöti­ger Anstoß“, ant­wor­tet Bede prompt. Sie hät­ten auch dazu bei­getra­gen, das Bild zu ver­än­dern. Es sind mitt­ler­wei­le schö­ne Park­an­la­gen und Orte ent­stan­den, die auch genutzt wer­den und in denen man sich ger­ne auf­hält. Eigent­lich alle, die wir hier sind. Es sind Puz­zle­tei­le, die zum posi­ti­ven Gan­zen bei­tra­gen. Wir haben nun einen Insel­park, eine Behör­de hier, was vor­her undenk­bar gewe­sen wäre. Die Skep­sis war rie­sig. Was soll der Quatsch war die Aus­sa­ge nicht nur der Sena­to­rin, „aber die­sen Quatsch braucht Wil­helms­burg“, betont Bede. Ein schö­nes neu­es Schwimm­bad, Bas­ket­ball Pro­fi­club, Klet­ter­hal­le, Attrak­tio­nen im Park. Auch die Ver­le­gung der Wil­helms­bur­ger Reichs­stra­ße wird einen rie­sen Effekt haben. Das ist seiner
Mei­nung nach lei­der zu lan­ge auf­ge­scho­ben wor­den. „Dann wird es ein rich­ti­ger Park, wie in Win­ter­hu­de der Stadt­park, in den man hin­ein­ge­hen kann, um abzu­tau­chen. Auch hier oben am Rei­her­stieg zwi­schen Asmann­ka­nal und Jaf­fe­ka­nal wird es ein Gewinn sein, selbst wenn da ein Hau­fen Woh­nun­gen gebaut wer­den, wird das ne ruhi­ge Ecke und die Leu­te wer­den da ger­ne woh­nen und man wird da ger­ne spa­zie­ren gehen“, schwärmt Bede ein biss­chen. Auf mei­ne Fra­ge hin, ob er eine Gefahr für Wil­helms­burg sieht, soll­te Olym­pia nach Ham­burg kom­men, hat er sofort eine Ant­wort parat. „Wir brau­chen drin­gend noch ein paar Woh­nun­gen mehr. Sonst stei­gen die Mie­ten und des­halb müssen wir auch auf­pas­sen, dass die Olym­pia­de uns nicht Trümmer hin­ter­lässt in Form von Gewer­be, das dann nach Wil­helms­burg ver­la­gert wird, weil die dann vom Gras­brook weg müssen.

DetlefBedeLuedemanninseinemBüorimBuchladenAnsons­ten glau­be ich, dass Olym­pia nicht so schlimm wird. Wir müssen nur dar­auf ach­ten, dass das nicht gegen unse­ren Stand­ort hier gebaut wird, dass die Zie­le, die wir und auch die BSU ent­wi­ckelt haben, nicht ver­wäs­sert oder ver­ges­sen wer­den. Neu­bau ist zwar nicht immer schön, weil eini­ge Archi­tek­ten ja auch nicht so schön arbei­ten, aber es ist wich­tig, dass auch Kauf­kraft da ist und Leu­te hier woh­nen, die auch das nut­zen, was hier ist. Hier leben, essen gehen und einkaufen.“

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IMG_3662Durch die Öff­nung des Spree­ha­fens sei das Poten­zi­al da. Es sei ja nicht mehr so wie früher mit dem Sta­chel­draht­zaun auf dem Deich. Es war ja ein biss­chen wie an der DDR-Gren­ze. Man konn­te nicht über den Deich, muss­te durch die Ernst-August- Schleu­se durch den Zoll, wur­de teil­wei­se gefilzt. Durf­te kei­ne Ziga­ret­ten oder Alko­hol dabei haben. Aber nicht nur da. Ja auch im Frei­ha­fen, wenn man hin­ein­fuhr und wie­der hin­aus, hin­ter der Köhlbrandbrücke wur­de man so ca. alle 30 x kon­trol­liert oder muss­te mit War­te­zei­ten für Kon­trol­len rech­nen, eben­so am alten Elb­tun­nel und in der Spei­cher­stadt. Das war schon ein Gefühl wie eine Exkla­ve, wie Andor­ra. Man ist Ham­burg, aber doch nicht. Und auch das hat das Außen­bild geprägt. Die Leu­te von St. Pau­li, Alto­na und Eimsbüttel kamen ein­fach nicht mal so hier­über. Jetzt ist das ja kein Pro­blem mehr, durch neue Fahr­rad­we­ge, Fähr­ver­bin­dun­gen und neue Ver­kehrs­we­ge auf die Insel.

Auch wenn nicht alle Wil­helms­bur­ger die eige­nen Ange­bo­te nut­zen, wie Kon­zer­te, Open Airs, Bas­ket­ball­spie­le, haben sie das Gefühl, das hier was Wich­ti­ges pas­siert und man Teil der Welt ist. Wir sind nicht mehr die Schmud­del­kin­der – wir sind begehrt und man mag uns. Das hört sich dort sehr posi­tiv an, wie ich mei­ne, und mei­ne letz­te Fra­ge, die ich stel­le, ist: Wie siehst du die Zukunft? Wie ist dein Fern­blick? Was meinst du, wie sich Wil­helms­burg ent­wi­ckeln wird? „Ich glau­be, das bleibt ein ganz nor­ma­ler Stadt­teil. Vie­le haben ja die Befürch­tung der Gen­tri­fi­zie­rung im Sin­ne von teu­er und schick. Das ist eine Ent­wick­lung, die fast über­all statt­fin­det. Ent­we­der es wird schön oder es bleibt schmud­de­lig. Viel mehr Mög­lich­kei­ten hat man nicht. Man kann auch nicht so tun, als ob Wil­helms­burg doof ist, damit hier kei­ner her­zieht. Das Allein­stel­lungs­merk­mal von Wil­helms­burg ist ganz klar: Es ist eine Insel, klar begrenzt von Indus­trie, von Schif­fen, Stadt­tei­len, die ganz anders sind wie die Innen­stadt, selbst nach Har­burg hin gibt es eine kla­re Gren­ze. Das ist groß und wird auch blei­ben. Die Ver­schi­cki­mi­cki­sie­rung wird hier nicht pas­sie­ren, weil es auch einen Tacken zu weit weg ist. Das ist gut. Das macht das Leben einfacher.

Lie­ber Bede, vie­len Dank für das sehr sym­pa­thi­sche Inter­view! Es gäbe noch viel zu fra­gen und auch zu erzäh­len, aber das holen wir auf jeden Fall nach!

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