Wer ist Hildebrand Henatsch?

Foto: Staatsrat Dr. Christoph Krupp verleiht Pastor Henatsch i.R. das Bundesverdienstkreuz

Ein Pionier der Armutsbekämpfung

Der pen­sio­nier­te Pas­tor der Emma­us-Gemein­de an der Man­nes­al­lee ist kein Mensch, der eine Glo­ri­fi­zie­rung sei­ner Per­son ger­ne erträgt; ins­be­son­de­re auch nicht, nach­dem ihm kürzlich das Bun­des­ver­dienst­kreuz ver­lie­hen wur­de. Gleich­wohl ver­dient er nicht nur die Auf­merk­sam­keit eines ein­zi­gen Tagesberichts.

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Pas­tor Hen­atsch i.R. mit sei­ner Frau Mari­on Frère

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Der west­preu­ßi­sche Flüchtling hat­te eine har­te Jugend mit lang dau­ern­der gefähr­li­cher Flucht und Unter­kunft in ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen in Nie­der­sach­sen. Sei­ne ver­wit­we­te Mut­ter gab ihn und einen Bru­der anschlie­ßend in eine Pfle­ge­fa­mi­lie, weil sie selbst nicht in der Lage war, alle acht Kin­der durch­zu­brin­gen. Aber schon par­al­lel zu sei­ner Kfz-Mecha­ni­ker-Leh­re mach­te er sein Abitur in Abend­kur­sen nach und stu­dier­te anschlie­ßend Theo­lo­gie. Sei­ne maß­geb­li­che Ori­en­tie­rung liegt nicht im dog­ma­ti­schen Bereich. Nach einer Zusatz­aus­bil­dung gewann er an der Gewerk­schafts­aka­de­mie in Dort­mund und in einem Indus­trie­prak­ti­kum auf der Phoe­nix in Har­burg sei­ne spe­zi­el­le Kom­pe­tenz als Industriepastor.

Vie­le Jah­re präg­te er den kirch­li­chen Dienst in der Arbeits­welt. Erst nach die­ser Zeit wur­de er Gemein­de­pas­tor in Wil­helms­burg. Für bei­de Auf­ga­ben­be­rei­che galt und gilt ihm der Aus­spruch Jesu als weg­wei­send: „Was du einem mei­ner gerings­ten Brüder getan hast, das hast du mir getan.” Nach Auf­fas­sung von Hil­de­brand Hen­atsch liegt es auf der Hand, dass Jesus damit einer rein jen­seits ori­en­tier­ten dog­ma­ti­schen Theo­lo­gie eine Absa­ge erteilt und auf kon­kre­te Hil­fe im irdi­schen Leben setzte.

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Getreu die­sem Grund­satz enga­gier­te er sich neben der Gemein­de­ar­beit in viel­fäl­ti­gen sozia­len Pro­jek­ten. Man­che stieß er selbst an: Klei­der­kam­mer, Fahr­rad­werk­statt, Möbel­hil­fe, Wil­helms­bur­ger Tafel im Deich­haus. Die Schwächs­ten in Arbeit zu brin­gen, die Ärms­ten zu spei­sen, dar­um rank­te sich ein Groß­teil sei­ner Tätigkeit.

Staats­rat Dr. Krupp bezeich­ne­te ihn in sei­ner Lau­da­tio aus Anlass der Ver­lei­hung des Bun­des­ver­dienst­kreu­zes als Pio­nier der Armuts­be­kämpIMG_3685fung und des Ein­sat­zes gegen Per­spek­tiv­lo­sig­keit und Selbst­wert­ver­lust. Auf­hor­chen ließ er in den 90er-Jah­ren, als er sich für den Bau einer Moschee in Wil­helms­burg ein­setz­te und damit selbst Tei­le sei­nes Kir­chen­vor­stan­des ent­setz­te. Schon Jahr­zehn­te zuvor hat­te er in Har­burg – sen­si­bi­li­siert durch sei­ne Tätig­keit als Indus­trie­pas­tor und sei­ne Erfah­run­gen mit aus­län­di­schen Mit­ar­bei­tern in der schwe­ren Schicht­ar­beit der Phoe­nix – die Deutsch-Aus­län­di­sche Arbeits­ge­mein­schaft gegründet, ein Forum für Dis­kus­sio­nen zum Abbau gegen­sei­ti­ger Vor­ur­tei­le, aber auch eine Stät­te für inter­kul­tu­rel­le Fes­te. Von inter­re­li­giö­sem Dia­log woll­te damals noch kaum jemand etwas wis­sen. Er wur­de zeit­wei­lig zur Reiz­fi­gur, auch der kom­mu­nal­po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung. Als Vor­sit­zen­der des Stadt­teil­bei­rats wur­de er nach eige­ner Ein­schät­zung auch wegen sei­nes inter­re­li­giö­sen Enga­ge­ments abge­wählt. Sei­ne Ant­wort war die Grün­dung des deutsch-aus­län­di­schen Gesprächs­krei­ses, der als „Dia­log­kreis“ noch heu­te besteht. Mit dem Gleich­nis vom barm­her­zi­gen Sama­ri­ter, der,selbst wenig geach­tet, den Ver­letz­ten am Weges­rand, an dem sogar ein Geist­li­cher acht­los vor­bei­ge­gan­gen war, mit­nahm und zu Hau­se gesund pfleg­te, hat uns Jesus aus Sicht von Hil­de­brand Hen­atsch den kla­ren Weg zum Umgang mit Migran­ten gewie­sen. Jetzt ist Hil­de­brand Hen­atsch 80 Jah­re alt. Aus sei­ner Dia­ly­se-Abhän­gig­keit macht er kein Geheim­nis. Sie hin­dert ihn auch nicht dar­an, mit Frau und Freun­den auf aus­ge­dehn­te mehr­tä­gi­ge Fahr­rad­tou­ren zu gehen.

Die Dia­ly­se nimmt er unter­wegs in Anspruch. Das funk­tio­niert. Das letz­te Mal war er sei­nen Mit­strei­tern dank­bar, dass sie ihm zu Lie­be ein Quar­tier in einem Ort mit Dia­ly­se aus­such­ten und von dort zu täg­li­chen Tou­ren auf­bra­chen und die wei­te­re Umge­bung stern­för­mig erschlos­sen. Ich schrei­be dies mit sei­nem Ein­ver­ständ­nis. Es soll ver­mit­teln, dass Men­schen mit die­sem Han­di­cap trotz­dem in einem gewis­sen Umfang auch am sport­li­chen Leben wei­ter­hin teil­neh­men kön­nen, was eine posi­ti­ve Ein­stel­lung zum Leben unterstützen kann. Sei­ne neue Pas­si­on ist das Schrei­ben von Büchern über sein Leben, sei­ne Theo­lo­gie, sei­ne Gemein­de­ar­beit. Das ist für ihn sicher ein Lebens­eli­xier der ganz beson­de­ren Art. Wann macht er das bloß alles …

BuchtitelBis­her sind vier Bücher von Hil­de­brand Hen­atsch ver­öf­fent­licht wor­den. Sein aktu­el­les Buch, im Novem­ber 2014 erschie­nen, trägt den Titel: Her­kunft und Ent­wick­lung des Glau­bens an Gott: Ein Streif­zug durch Bibel und Theo­lo­gie­ge­schich­te Die­ses Buch will ein Streif­zug sein durch die Geschich­te des Glau­bens. Wor­in hat der Glau­be an Gott sei­nen Ursprung? Und wie hat er sich im Lau­fe der Geschich­te immer wie­der gewan­delt? Es soll deut­lich wer­den, dass der Glau­be an Gott nicht als zeit­lo­se Leh­re vom Him­mel gefal­len ist, son­dern zu je ver­schie­de­nen Zei­ten und ent­spre­chend in sich ändern­den Vor­stel­lun­gen auf die Fra­ge nach dem Woher, Wohin und dem Sinn des Lebens ant­wor­ten will. Die Verkündigung Got­tes und die Rede von Gott ist immer auch Aus­druck des sich wan­deln­den Welt­ver­ständ­nis­ses und des jewei­li­gen Welt­bil­des. Jede Epo­che – auch die unse­re – sieht sich vor die Auf­ga­be gestellt, die Rede von Gott den aktu­el­len Zeit­um­stän­den anzupassen.

Nur ein zeit­ge­mä­ßer Glau­be kann ein leben­di­ger Glau­be sein.