Wie geil ist das denn – Ein BONANZARAD 

Ich habe mich gera­de mit einem span­nen­den Buch in einem Wil­helms­bur­ger Park auf einer Bank nie­der­ge­las­sen. Die Son­ne scheint. Bin leicht ver­träumt (oder doch eher ver­schla­fen). Da sehe ich einen Typen auf einem klei­nen oran­ge leuch­ten­den Fahr­rad cool sei­ne Run­den über die Park­we­ge zie­hen. Ich schau genau­er hin… Moment mal! Was heißt hier eigent­lich „klei­nes Fahr­rad“?

Es ist… genau… es ist EIN BONANZARAD! Wie geil ist das denn! So eins habe ich ja Jahr­zehn­te nicht gesehen.

Kom­plett aus­ge­stat­tet, mit einem Bana­nen­sat­tel und einem hohen Rücken­teil (Sis­sy­bar genannt). Dazu gehört natür­lich auch ein Len­ker wie bei einem Chop­per (Easy Rider). Fast hoch bis zur Schul­ter. Und zwi­schen den Bei­nen der Schalt­he­bel, die TORPEDO Schal­tung von Sachs… die Pornoschaltung.

Es krib­belt in mei­nem Bauch. WOW! Genau so eins war auch mein Hei­lig­tum gewe­sen. Man, dass war Anfang der Sieb­zi­ger. Und plötz­lich erin­ne­re ich mich an das Teil, als ob es ges­tern gewe­sen wäre. Sehe jedes Detail vor mir. Die leuch­ten­de Far­be, die mein Bonanz­a­rad hat­te, war unüber­seh­bar (schrei­en­des 70er Jah­re Oran­ge). Der drei­ecki­ge Tacho zwi­schen den Lenk­stan­gen. Die Bürs­ten­rin­ge um die immer blank gewie­ner­ten Naben. Hin­ten ein Schmutz­fän­ger (oder auch zwei) mit gro­ßem „D“. Vorn die Stoß­dämp­fer, die kei­nen Stoß gedämpft haben (egal!). Die ein­ge­schla­fe­nen Hän­de am schul­ter­ho­hen Dop­pel­rohr­len­ker (nicht so wich­tig!). Und natür­lich der Außen­spie­gel und die bunt gerin­gel­ten Zier­spi­ra­len an den Bau­ten­zü­gen. YES! Ach ja, ein Fuchs­schwanz durf­te natür­lich auch nicht fehlen.

Die­ses Gerät stand damals kom­plett ein­ge­packt an mei­nem Geburts­tags­tisch. Ein­ge­brannt in mei­ne Erin­ne­rung. Ich kann mich irgend­wie an kein ande­res Geschenk erin­nern (kein Wun­der). Aus­ge­packt. Los­ge­fah­ren. Ich glau­be, wochen­lang nicht abge­stie­gen (1 oder 2 mal viel­leicht). Das war am Anfang gar nicht so leicht. Der Umstieg von einem „nor­ma­len“ Fahr­rad war schon eine Her­aus­for­de­rung gewe­sen. Ein­fach auf­stei­gen. Das ging nicht. Die Stan­ge mit Schal­tung in der Mit­te. Der rie­si­ge Bügel hin­ten am Sat­tel. Wie bekom­me ich den Fuß da rüber? Naja, wenn man zehn ist, fin­det man schnell eine Lösung. Und dann ist einem auch so ziem­lich alles ande­re egal. Die Hän­de am Len­ker waren ja nun immer in Schul­ter­hö­he. Ein­ge­schla­fe­ne Unter­ar­me inklu­si­ve. Das unfrei­wil­li­ge Abstei­gen bei unkon­trol­lier­ten Brem­sun­gen ist aber eine ande­re Geschich­te. Wenn man nach vor­ne vom Sat­tel rutsch­te, des­we­gen viel­leicht „Por­no­schal­tung“.

Viel­leicht war es auch all dies, das anders war, wes­halb ich (und nicht nur ich) die­ses Bike so geliebt haben. Es war irgend­wie eines der Lebens­ge­füh­le der 70er Jah­re. Chop­per-like den Wind in den Haa­ren spü­ren. Ein­fach nur Kult. Kult wie so vie­le Din­ge aus die­ser Zeit. Über­all kleb­ten Pril Blu­men. Tan­te Til­ly ließ Fin­ger in Palm­o­li­ve tau­chen. Und dann auch noch der glib­be­ri­ge Sli­me. In den Röh­ren-Fern­se­hern lie­fen Dak­ta­ri, Wickie und Pan Tau. Das Feu­er­ro­te Spiel­mo­bil, Rau­chen­de Colts und natür­lich BONANZA.

Über die­sen Kult gibt es nun ein Buch. Das Buch, „Die Bonanz­a­rad Bibel“, ist nicht nur ein Weg­wei­ser zu Wis­sen um das eine Fahr­rad. Wo es zuerst gebaut wur­de oder wel­che Geschich­te es nach Deutsch­land gebracht hat­te. Es schreibt auch Geschich­ten rund um Men­schen die dem Bike ver­fal­len sind.

Zeit­zeu­gen, (die Wil­den Rei­ter) die ihre eige­nen Geschich­ten erzäh­len. Sport­ler, Musi­ker und Leh­rer. In die­ses Buch ist geball­tes Wis­sen hin­ein geschrie­ben. Und zwar so, dass man ein­fach wei­ter lesen möch­te, auch wenn einen das Bonanz­a­rad an sich nicht wirk­lich inter­es­siert. Die Geschich­ten in dem Buch gehen von den ers­ten Ideen in den USA bis zu der Ver­mark­tung durch Ver­sand­händ­ler in Deutsch­land und Euro­pa. Kata­log­sei­ten. Necker­mann warb mit Rad-Welt­meis­ter Rudi Altig für das neu­ar­ti­ge Jugend­bike: „Der Stra­ßen­kreu­zer unter den Sport­rä­dern.“ Ande­re Geschich­ten han­deln vom Bonanz­a­rad und der Tour de Fran­ce. Arti­kel, die auf­zei­gen, wie ein Zeit­geist eine gan­ze Genera­ti­on prä­gen kann. Und wie tick­te eigent­lich die­se Genera­ti­on der 70er? In einer Zeit zwi­schen Ölkri­se und Fuß­ball-WM im eige­nen Land. Die­ses Buch lässt die Her­zen aller 70er und Retro-Fans mit einem Hard-Cover, hoch­wer­ti­gen Sei­ten und mas­sig Bil­dern, höher schlagen.

Und wieso heißt es 
überhaupt BONANZA?

Die Geschich­te der Bonanz­a­rä­der ende­te dann irgend­wann Mit­te der 70er. Sicher­heits­be­den­ken, eine abflau­en­de Kon­junk­tur und neue Fahr­rad­trends lie­ßen es ein­fach ver­schwin­den. Der Hype ver­puff­te. BMX und Moun­tain­bikes über­nah­men das Feld. In den 80ern war keins der Bonanz­as mehr zu sehen.

Doch jetzt mal zurück zu dem Typen, der so locker mit dem Bonanz­a­rad durch die Wil­helms­bur­ger Parks crui­sed. Der Autor Jörg Mal­tzan. Er ist Mit­te 50, gelern­ter Jour­na­list und hat sei­nen Arbeits­platz in den Wil­helms­bur­ger Zinn­wer­ken. Und er hat das „Fahr­rad-Virus“. Ob Renn­rä­der, Moun­tain­bikes, Klapp­rä­der oder Tandems.

Er hat sie alle. Sein ers­tes Bonanz­a­rad bekam er 1974. Irgend­wann wur­de es ihm ein­fach gestoh­len. Als er gut vier­zig Jah­re spä­ter auf einem Schrott­platz, zwi­schen ande­ren Fahr­rad-Ske­let­ten, eine Sis­sy­bar ent­deck­te, hielt er kurz drauf ein fast voll­stän­di­ges Bonanz­a­rad in den Hän­den. Damit begann ihn die Geschich­te des Rades zu inter­es­sie­ren. Infor­ma­tio­nen gab es so gut wie nicht. Es gab zwar eine har­te Sze­ne, aber viel Hin­ter­grund­ma­te­ri­al war hier nicht zu holen. Das schien ihn erst so rich­tig zu trei­ben. Die Keim­zel­le für die­ses Buch war gelegt.

Jörg kauft auch fast alles auf, was wie Bonanz­a­rad aus­sieht. Er hat über das Inter­net alles in der Regi­on abge­grast. Ersatz­tei­le sind extrem teu­er gewor­den. Eini­ge Bikes hat er noch recht güns­tig schie­ßen kön­nen. Zur­zeit sind es 10, oder so …! Wenn er jetzt damit unter­wegs ist, gibt es immer Kom­men­ta­re. Die Jün­ge­ren haben so etwas noch nie gese­hen. Die Älte­ren haben immer eine Geschich­te parat. Wer noch eines die­ser Kult­rä­der hat, oder auch ein­fach nur Hil­fe braucht, der sol­le sich doch sehr ger­ne bei ihm melden.

Fotos zur Verfügung gestellt von Lukas Schepers und Jörg Maltzan.

Die Bonanz­a­rad-Bibel“ (Deli­us Klasing Ver­lag, 176 Sei­ten, 29,90 Euro) heißt das Werk von Autor Jörg Mal­tzan, Gra­fi­ker Mar­tin Lang­horst und Foto­graf Alex­an­der Ziegler.