Aktiv & kreativ am Kanal

Das Atelierhaus 23

Von innen nach außen – Chris­ti­ne Waldbüßer

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Kunst und Spra­che sind ihre Medi­en, um sich aus­zu­drü­cken. So war es irgend­wie schon immer. Chris­ti­ne – Tine Waldbüßer begrüßt mich am Ein­gang des Ate­lier­haus 23, wel­ches seit Okto­ber 2013 sein Zuhau­se in den von der IBA auf­ge­frisch­ten Vering­hö­fen direkt am Vering­ka­nal gefun­den hat. Dass sie hier zu Hau­se ist, spü­re ich gleich. Begeis­tert zeigt sie mir die Räum­lich­kei­ten, berich­tet vom Ist-Zustand und was noch alles geplant ist. „Die­ser ca. 200 Qua­drat­me­ter gro­ße Raum wird unse­re Gale­rie. Das wol­len wir am Sams­tag, den 23. August mit einer Gale­rie-Eröff­nung fei­ern“, berich­tet Chris­ti­ne mit Vor­freu­de. Der hel­le Raum im Erd­ge­schoss mit Blick auf den Kanal und direk­tem Zugang zur Ter­ras­se eig­net sich ganz wun­der­bar dafür, das bun­te Pro­gramm der ca. 40 – 50 Ate­li­er­nut­zer zu prä­sen­tie­ren. Von 15 – 18 Uhr sol­len zur Eröff­nung natürlich die Aus­stel­lun­gen der künstlerischen Expo­na­te und Objek­te sowie ein Tanz-Work­shop die Akti­vi­tä­ten des Ate­lier­hau­ses ver­an­schau­li­chen. Mit­tel­fris­tig sol­len auch wei­te­re Work­shops, musi­ka­li­sche Dar­bie­tun­gen und Lesun­gen fol­gen. Ver­eins­vor­stand Ralf-Peter Schmidt wird die Gäs­te begrüßen, und ein Insel-Cate­rer wird für Speis und Trank sor­gen. „Die Vor­be­rei­tun­gen lau­fen, und wir freu­en uns dar­auf, mit die­ser Eröff­nung unse­rem Ziel, ein offe­nes Haus für alle Inter­es­sier­ten zu wer­den, näher zu kom­men“, erzählt mir Tine Wald­bü­ßer. Wei­ter geht die Erkun­dungs­tour, die Trep­pe hoch. Sie erklärt: „Das Trep­pen­haus und die Flu­re wer­den noch belebt. Hier ist reich­lich Platz für eine stän­di­ge Aus­stel­lung.“ Nun betre­ten wir den „roten Flur“. Vor­bei geht‘s an der roten Gemeinschaftsküche. „Bei uns heißt es roter Flur oder grüner Flur. Damit sind die rech­te oder die lin­ke Sei­te der Flu­re auf den zwei Eta­gen gemeint. Wenn es heißt – Wir tref­fen uns in der roten Küche, weiß jeder, was gemeint ist“, erläu­tert mir Tine, begeis­tert vom Gemein­schafts­sinn der Ate­lier­mie­ter. Ange­kom­men in ihrem „Reich der Inspi­ra­ti­on“ – ihrem ange­mie­te­ten Ate­lier, ist mein ers­ter Ein­druck – blau. Blau. Blau. Blau. „Was­ser war und ist eines mei­ner The­men. Daher bat ich auch gleich bei mei­ner Bewer­bung, hier ein Ate­lier was­ser­sei­tig zu bekom­men. Ich bin ein Wald­mensch. Ich lie­be die vier Ele­men­te. Mein Grund­ge­dan­ke ist immer: Woher kom­me ich, wer bin ich, wor­aus bin ich? Ich keh­re alles von innen nach außen“, erklärt Tine.

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Ihr ers­ter Blick auf das noch ver­pack­te, sich im Umbau befin­den­de Ate­lier­haus war im August 2013.

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„Das ist es, habe ich sofort gedacht und gespürt. Dar­auf­hin bewarb ich mich und wur­de zu einer Füh­rung für Inter­es­sier­te ein­ge­la­den. Ab 1. Okto­ber zogen ich und ande­re Mie­ter dann ein. Wir haben in der kur­zen Zeit schon viel auf die Bei­ne gestellt, aber es ist auch noch viel im Fluss!“ Bei einer Tas­se Kaf­fee schau ich mich wei­ter in die­sem bun­ten, ver­win­kel­ten Raum mit Blick auf Kanal und Honig­fa­brik um. „Mein Platz hier ist genau zwi­schen Vor­kriegs-Alt­bau und Anbau aus den 50er-Jah­ren. Genau im Durch­bruch. Daher der dicke Pfei­ler und der Trä­ger an der Decke“, erklärt mir Chris­ti­ne Waldbüßer. Das passt, fin­de ich. Alt und neu. Durch­bruch. Innen nach außen. Mein Blick fällt auf ihre zwei­te Inspi­ra­ti­on. Das The­ma „Fleisch“, Fleisch im Sin­ne von dem Stoff, aus dem wir bestehen, dem, was wir essen und grob gesagt der Ana­to­mie des Seins. Die pen­sio­nier­te Leh­re­rin mit den Haupt­fä­chern Kunst und Eng­lisch drückt ihre Krea­ti­vi­tät auch mit diesen
erlern­ten Werk­zeu­gen aus. Ich sehe Col­la­gen. Sur­re­al anmu­tend. Fleisch­far­be­ne, was­ser­far­be­ne Kom­po­si­tio­nen mit gemal­ten Sze­nen in Öl, oder Aqua­rell- und Ölkrei­den für die fei­nen Arbei­ten. Col­la­gen mit Tex­ten und Bil­dern mensch­li­cher Mus­keln und Organe.

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„Eine Kol­le­gin hat­te Apo­the­ken­auf­stel­ler der
70er-Jah­re, Tri­pty­chen aus Pap­pe, auf dem Floh­markt gefun­den.

[two_third]Auf die­sen 3‑teiligen Auf­stel­lern waren Ver­an­schau­li­chun­gen der mensch­li­chen Orga­ne und Mus­keln mit Erklä­run­gen abge­druckt. Mir ist es gelun­gen, die­se Rari­tä­ten Stück für Stück von ihr zu erben. Das war zu einer Zeit, als ich gera­de mit mei­ner Gesund­heit zu kämp­fen hat­te. Im Nach­hin­ein war die Aus­ein­an­der­set­zung mit Fleisch und Ana­to­mie für mich wohl die bes­te The­ra­pie. Ein Freund sag­te zu mir: „Tine, du hast dich gesund gemalt!“ Und dann fand sie die­ses gro­ße Stück Papier. Wenn sie einen Fet­zen Papier, ein Pla­kat oder auch nur ein Teilstück fin­det, nimmt sie es unbe­se­hen mit. Das Anschau­en zu Hau­se war schon oft auf­re­gend, überraschend oder sogar der Beginn einer neu­er Ära. So wie im letz­ten Win­ter. Das Fundstück ent­pupp­te sich als Teil eines 3‑teiligen Pla­ka­tes zum The­ma Lampedusa-Flüchtlinge. Seit­dem sind ca. 30 Col­la­gen zu die­sem gewal­ti­gen The­ma ent­stan­den. Und da kam Tine die Idee: War­um nicht mei­ne Col­la­gen zuguns­ten der Flüchtlinge ver­kau­fen oder ver­stei­gern? Gute Idee – schwe­re Umset­zung. Sie rief den Pas­tor der St.-Pauli-Gemeinde an, um ihre Idee anzu­bie­ten. Des­sen Kapa­zi­tä­ten waren jedoch auf­grund der äußerst aku­ten Lage aus­ge­schöpft. Er ver­wies dann an den „Run­den Tisch Blan­ke­ne­se“. Frau Hel­ga Bre­den­beck ist hier sehr enga­giert. Schwie­rig ist es nun, die rech­te Platt­form für einen Ver­kauf oder eine Auk­ti­on zu fin­den. Dies wird laut Frau Bre­den­beck wohl erst im Herbst 2014 der Fall sein. Aber auch der Run­de Tisch ver­wies wei­ter. Migra­ti­ons­bei­rat und Mit­glied vom „Run­den Tisch Barm­bek“ Herr Toboul, wel­cher auch in frei­er Mit­ar­beit für den Ham­bur­ger Senat tätig ist, ver­sucht nun, einen geeig­ne­ten Rah­men zu finden.[/two_third]

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Tine Wald­bü­ßers Schwes­ter hat in Süd­deutsch­land einen Teil ihres Hau­ses an syri­sche Flücht­lin­ge ver­mie­tet. Par­al­lel ver­sucht nun die­se, über ein persönliches
Por­trät eines syri­schen Mie­ters der Prä­sen­ta­ti­on einen indi­vi­du­el­len Auf­hän­ger zu geben. „Mit einem Gesicht dazu wird ein The­ma ein­fach viel näher. Wenn mei­ne Ver­su­che, mit den Col­la­gen Spen­den für die Flücht­lin­ge zu erzie­len, nicht funk­tio­nie­ren, hän­ge ich ver­mut­lich die 30 Bil­der hier im Ate­lier­haus auf.

Das ist dann zwar nichts für die Kas­se, aber wenigs­tens für die Köp­fe!“, erklärt Tine nachdrücklich. Die Kun­stund Ate­lier­ta­ge Wil­helms­burg am 13. & 14.09.2014, orga­ni­siert von Kath­rin Milan, kön­nen eine wei­te­re Platt­form für ihre Flüchtlingsthematik sowie Was­se­rund Flei­schim­pres­sio­nen sein. „Am 13. Sep­tem­ber wer­de ich dar­an teil­neh­men und einen Quer­schnitt mei­ner Arbei­ten zei­gen. Am 14. wer­de ich dann selbst die Aus­stel­lun­gen genie­ßen“, freut sich Christine.


Bis dahin arbei­tet sie zusam­men mit Ate­li­er­nut­ze­rin,
Grün­dungs­mit­glied und Kera­mi­ke­rin Car­la Bin­ter wei­ter an ihrem aktu­el­len Gruppenprojekt:

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Die Mahn- und Erin­ne­rungs­ta­fel zu den Zwangs­ar­bei­te­rin­nen, wel­che von 1942 – 1945 für die Gum­mi­wa­renund Asbest­fa­brik Mer­kel arbei­ten muss­ten. 48 jun­ge rus­si­sche Frau­en muss­ten unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen har­te Arbei­ten ver­rich­ten. „Rudolf Schmidt, ehe­ma­li­ger Betriebs­rat bei Mer­kel und nun bereits 78 Jah­re alt, hat uns in die von ihm gesam­mel­ten und in der Geschichts­werk­statt gela­ger­ten Ori­gi­nal­ak­ten schau­en las­sen, berich­tet mir Chris­ti­ne. Die Stadt Ham­burg hat­te ihm auf Anfra­ge nach einer Gedenk­ta­fel geant­wor­tet: Dann müssten wir in ganz Ham­burg Tafeln auf­hän­gen – , dar­um machen wir es nun selbst!“

Am 11. Sep­tem­ber soll die Tafel nun um 19.30 Uhr mit einer klei­nen Ein­wei­hungs­fei­er an der Stirn­sei­te des Ate­lier­hau­ses enthüllt wer­den. Hoch genug, damit sie nicht gleich Spray­ern zum Opfer fällt, und groß genug, damit man die Fotos und auch die Ori­gi­nal­tex­te, die ver­wen­det wer­den sol­len, lesen kann. Sieb­druck auf Kera­mik soll die Tech­nik hin­ter der Kunst sein. Zur fei­er­li­chen Ein­wei­hung der Tafel gibt es dann den Film von Jür­gen Kin­ter über die ehe­ma­li­ge Zwangs­ar­bei­te­rin Maria: „Wir hät­ten auch ins KZ kom­men kön­nen“, Wie­der­se­hen nach 57 Jah­ren – Maria (Ukrai­ne) und Lydia (Wil­helms­burg) erin­nern sich. Nach knapp zwei Stun­den aus­führ­li­chen Ken­nen­ler­nens ver­ab­schie­de ich mich von Chris­ti­ne Waldbüßer und gehe nun wie­der von innen nach außen. Authen­tisch, mensch­lich und herz­lich ist sie mit sich und ihren Werken.

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Bis bald, lie­be Tine!

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