Hamburgs „Sprung über die Elbe“ – ein Reinfall?

Foto@ Adam Gancarczyk – Ausblick vom Energiebunker – Der Kontrast zwischen Wohnen und Industrie

Ham­burgs „Sprung über die Elbe“ – ein Rein­fall?  Jose­fa Raschen­dor­fer, Mas­ter­stu­den­tin der Jour­na­lis­tik und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft an der Uni Ham­burg, hat sich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten inten­siv mit Ham­burgs „Sprung über die Elbe“ beschäf­tigt. Wir freu­en uns, ihren Text nun auf unse­rer Sei­te zu veröffentlichen.

Vie­len Dank lie­be Jose­fa. Dei­nen Blick auf den „Sprung über die Elbe“ fin­den wir rich­tig interessant!

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„Die Geest ist zum Woh­nen, die Marsch zum Arbei­ten da“, die­ses Cre­do des Ober­bau­di­rek­tors Schu­ma­cher aus den 20er Jah­ren bestimm­te über hun­dert Jah­re die Funk­ti­on des Ham­bur­ger Stadt­teils Wil­helms­burg. Ändern soll­te sich das 2002 mit der Zukunfts­kon­fe­renz und 2013 mit der Eröff­nung der Inter­nationa­len Bau­aus­stel­lung (IBA) sowie der Inter­natio­na­len Gar­ten­show (IGS). Das ehe­mals schlech­te Image der Elb­in­sel ist Geschich­te – der Kon­flikt zwi­schen Indus­trie und Woh­nen jedoch nicht. 

Ham­burg. Gif­ti­ge Rauch­wol­ken am Him­mel, Schwer­last­ver­kehr auf den Stra­ßen, kon­ta­mi­nier­ter Boden: Lan­ge herrsch­te in Wil­helms­burg das lebens­feind­li­che Kli­ma der Indus­trie. Nach der schwe­ren Sturm­flut von 1962, die den Stadt­teil stark ver­wüs­te­te und über 300 Men­schen töte­te, soll­te Euro­pas größ­te Flus­s­in­sel ursprüng­lich gar nicht mehr besie­delt wer­den. Gewer­be- und Hafen­stand­ort soll­te sie statt­des­sen blei­ben. Arbeits­lo­sig­keit und Kri­mi­na­li­tät domi­nier­ten das Leben in Wil­helms­burg. Der Ruf des Stadt­teils: mise­ra­bel – spä­tes­tens nach­dem der sechs­jäh­ri­ge Vol­kan von einem Kampf­hund tot­ge­bis­sen wur­de. Das war im Jahr 2000.

Vie­les hat sich seit­dem ver­än­dert. Zwar ist Wil­helms­burg wei­ter­hin – mit den Nor­di­schen Ölwer­ken vor­an­ge­hend – Indus­trie­stand­ort sowie Durch­gangs­zo­ne des Hafen­ver­kehrs. Gleich­zei­tig ist die Elb­in­sel inzwi­schen aber auch belieb­ter Wohn­raum in zen­tra­ler Lage, geseg­net mit gro­ßen Grün­flä­chen und Natur­räu­men, Ankunfts­stadt­teil und Auf­fang­la­ger für Flücht­lin­ge, ein Schmelz­tie­gel der Natio­nen und Para­de­bei­spiel für inter­kul­tu­rel­les Zusam­men­le­ben sowie seit der Inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung (IBA) eine „Stadt der Zukunft“. Eine eigen­ar­ti­ge Mischung aus Gegen­sät­zen und Stil­brü­chen ist es, die Wil­helms­burg für sei­ne Bewoh­ner so beson­ders macht.

Wil­helms­burg im Aus­nah­me­zu­stand: ein neu­es Image 

Ein ers­ter Schritt, das ehe­ma­li­ge Arbei­ter­quar­tier zu einem lebens­wer­te­ren Ort auf­zu­wer­ten wur­de 2002 mit der Zukunfts­kon­fe­renz gesetzt. Mehr als hun­dert Wil­helms­bur­ger erar­bei­te­ten damals zusam­men mit Ver­tre­tern der Fach­be­hör­den ein Kon­zept der inte­grier­ten Stadt­ent­wick­lung. Mit der IBA Ham­burg soll­te der „Sprung über die Elbe“ dann end­gül­tig gelin­gen: Sie­ben Jah­re herrsch­te in Wil­helms­burg der abso­lu­te Aus­nah­me­zu­stand. Der Stadt­teil dien­te als „Expe­ri­men­tier­feld“, als „Labor“, wie IBA GmbH-Geschäfts­füh­rer Uli Hell­weg es nann­te, zur Ent­wick­lung inno­va­ti­ver Wohn­kon­zep­te. Schu­len wur­den errich­tet, ein Nazi-Bun­ker zur Ener­gie­ge­win­nung umge­baut, 1.200 neue Woh­nun­gen geschaf­fen. Mit einem Inves­ti­ti­ons­vo­lu­men von einer Mil­li­ar­de Euro wur­den über 60 Pro­jek­te ange­gan­gen, Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner der gan­zen Welt schau­ten auf die Elb­in­sel. Die futu­ris­ti­schen „Smart Houses“ prä­gen von nun an das Stadt­bild der „neu­en Mit­te“ Wil­helms­burgs. Spä­tes­tens mit dem „Algen­haus“, in des­sen blub­bern­der Was­ser­fas­sa­de durch Bio­mas­se Ener­gie erzeugt wird, war klar, was das Mot­to „Stadt der Zukunft“ bedeutete.

Das Image des Stadt­teils wur­de im Zuge der IBA auf­po­liert. Das Ziel, wohl­ha­ben­de Bewoh­ner auf die Elb­in­sel zu zie­hen, erreicht. Im Rei­her­stiegs­vier­tel sei nach der IBA regel­recht eine „Gold­grä­ber­stim­mung“ zu beob­ach­ten gewe­sen, erzähl­te Manu­el Hum­burg, der seit 1975 in Wil­helms­burg lebt und sich im Vor­stand des Ver­eins Zukunft Elb­in­sel für sei­ne Hei­mat ein­setzt. Schon die Zukunfts­kon­fe­renz hat er damals mit initi­iert. „Leer­stän­de gibt es hier nicht mehr, der Woh­nungs­markt in Wil­helms­burg ist dicht“, so Humburg.

Rund ein Jahr nach Ende der IBA-Prä­sen­ta­ti­ons­mo­na­te von März bis Novem­ber 2013 ist der All­tag in Wil­helms­burg ein­ge­kehrt. Die Stadt­ent­wick­ler sind zufrie­den: „Unterm Strich kann man eine posi­ti­ve Bilanz zie­hen“, lob­te Ham­burgs Ober­bau­di­rek­tor Jörn Wal­ter. Auch Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz (SPD) fin­det: „Wil­helms­burg hat sich gemacht.“ Vie­le posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen wer­de man jedoch „erst in ein paar Jah­ren sehen“, beton­te Hell­weg. „Raus aus dem Aus­nah­me­zu­stand und rein in die Nor­ma­li­tät“, lau­te nun erst mal die Devise.

Kon­flikt zwi­schen Indus­trie und Woh­nen aku­ter denn je 

Die IBA sei Teil einer Stra­te­gie gewe­sen, eine neue Balan­ce in das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Indus­trie und Woh­nen zu brin­gen, erklär­te Hum­burg. Doch genau die­ser Kon­flikt ist auch 13 Jah­re nach der Zukunfts­kon­fe­renz und nach Ende der IBA aku­ter denn je. Vor allem die Geruchs­emis­si­on der Nor­di­schen Ölwer­ke belas­tet die Wil­helms­bur­ger. Im Wes­ten der Insel stin­ke es „ekel­er­re­gend“, sag­te Hum­burg. Die IBA-Geschäfts­füh­rung und der Ham­bur­ger Senat ver­tei­di­gen die Indus­trie vor allem wegen der Arbeits­plät­ze. „Wir brau­chen die Indus­trie hier, auch die Nor­di­schen Ölwer­ke“, so Hell­weg. Von Anfang an habe man gesagt, „es geht nicht um ent­we­der oder.“ Eine Stadt der Zukunft sei „eine Stadt von Indus­trie und Woh­nen“. Die Bür­ger müss­ten „Bünd­nis­se suchen“ statt sich in „alten Schüt­zen­grä­ben“ zu ver­schan­zen. Gewer­be und Indus­trie dürf­ten nicht ver­drängt, son­dern müss­ten wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den, beton­te auch Scholz.

Foto@ Adam Gancarczyk - Der Veringkanal in nördlicher Richtung von einer Fußgängerbrücke aufgenommen.
Foto@ Adam Gan­car­c­zyk – Der Vering­ka­nal in nördlicher Rich­tung von einer Fußgängerbrücke aufgenommen.

Vor allem aber die Ver­kehrs­pla­nung sorgt für Ver­är­ge­rung bei den Wil­helms­bur­gern. Nach­dem die IBA die Ver­le­gung der Wil­helms­bur­ger Reich­stra­ße (Nord-Süd Ach­se) nach Osten an die Bahn geplant hat­te, um die Ver­kehrs­lärm­be­las­tung in Wil­helms­burg-Mit­te zu redu­zie­ren, sieht ein neu­es Rah­men­kon­zept des SPD-Senats vor, die anlie­gen­de Dra­teln­stra­ße zur Haupt­ver­kehrs­stra­ßen aus­zu­bau­en. „Völ­lig absurd“, fin­det Hum­burg. Denn der Schwer­last­ver­kehr mit Hafen­be­zug durch­que­re Wil­helms­burg dann genau dort, wo die IBA GmbH in die­sem Jahr den Bau von mehr als Tau­send neu­er Woh­nun­gen pla­ne. Das Rah­men­kon­zept sei ein „tota­les Roll­back zu der Zeit vor der Zukunfts­kon­fe­renz“ und kon­ter­ka­rie­re alles, so Hum­burg. Die­ter Läpp­le, Pro­fes­sor der inter­na­tio­na­len Stadt­for­schung an der Hafen­Ci­ty Uni­ver­si­tät, warn­te, dies sei „ein Ein­stieg in eine Ver­kehrs­ent­wick­lung, die nicht zu brem­sen ist“. Auch CDU, Grü­ne, FDP und Lin­ke bemän­geln das Rah­men­kon­zept. Es sei in „vie­len Berei­chen unzu­läng­lich“, so CDU-Abge­ord­ne­te Bir­git Stö­ver. Hei­ke Sud­man von den Lin­ken beton­te: „Die Bür­ger befürch­ten zu Recht wesent­lich mehr Ver­kehrs- und Lärm­be­las­tung.“ Alle Ände­rungs­vor­schlä­ge der Frak­tio­nen wur­den jedoch von der SPD-Mehr­heit abge­lehnt. Scholz beru­hig­te vor der Bür­ger­schafts­wahl: „Es wird kei­ne neu­en Ver­keh­re geben.“ Auch SPD-Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­ter Dirk Kien­scherf ver­si­cher­te, es wer­de „nicht zu einer Mehr­be­las­tung durch den Stra­ßen­ver­kehr kommen“.

Visio­nen der Zukunfts­kon­fe­renz wer­den ent­sorgt“

Wei­te­rer Streit­punkt ist der Schie­nen­ver­kehr. Die Bewoh­ner kla­gen über über­füll­te Bah­nen wäh­rend der Rush-Hour. „Es ist eine Kata­stro­phe in der S‑Bahn“, sag­te ein Red­ner bei einer Dis­kus­si­ons­run­de des Ver­eins Zukunft Elb­in­sel. Als Lösung for­dern die Bür­ger die Ver­län­ge­rung der U4 in den Süden auf der jet­zi­gen Tras­se der Wil­helms­bur­ger Reichs­stra­ße. Ober­bau­di­rek­tor Wal­ter sorg­te jedoch für Ernüch­te­rung. Es gebe weit­aus dring­li­che­re Stre­cken für eine U‑Bahn, die „sicher­lich eher“ kom­men wür­den. Gene­rell krie­ge Wil­helms­burg „den Hals nicht voll“.

Hell­weg beton­te, die Ver­kehrs­pla­nung sei Sache des Senats. Er gestand, beim The­ma Ver­kehr „waren wir wirk­lich schon mal wei­ter“ und das Rah­men­kon­zept sei „noch nicht kohä­rent“. Hum­burg kri­ti­sier­te das Ver­hal­ten der IBA GmbH. Sie habe sich von der Ver­kehrs­be­hör­de einen „Maul­korb“ ver­pas­sen las­sen und ihrem Auf­trag­ge­ber „nach dem Mun­de gere­det“. Beim The­ma Ver­kehr habe sie unterm Strich „ver­sagt“.

Die IBA hat in Wil­helms­burg vie­les zum Posi­ti­ves ver­än­dert. Hum­burg erklärt, dass eini­ge die Mög­lich­kei­ten der IBA ins­ge­samt jedoch über­schätzt hät­ten. „Die IBA ist halt auch nur ’ne IBA.“ Eine „Leis­tungs­show“ der Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner. Die Gesamt­ver­ant­wort­lich­keit für die Stadt­pla­nung lie­ge beim Senat und die­ser sor­ge gegen­wär­tig dafür, dass Wil­helms­burg wie­der sei­nen „tra­di­tio­nel­len Platz“ ein­neh­me. „Die Visio­nen der Zukunfts­kon­fe­renz wer­den mit dem Rah­men­kon­zep­tes ent­sorgt“, so Humburg.

Jose­fa Raschendorfer@WIP