Mission impossible 21.0

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Ein Kind flieht um die Welt

Auch in Afgha­ni­stan las­sen sich Ehe­leu­te schei­den – schlecht für den 13jährigen Moham­med (Name geän­dert). Sei­ne Mut­ter war plötz­lich weg, geflüch­tet in den Iran mit Moham­meds klei­ner Schwes­ter. Der Vater inter­es­sier­te sich nicht für ihn. Die Früh­jahrs­of­fen­si­ve der Tali­ban war ange­lau­fen und bedroh­te die gan­ze Gegend. Was soll­te er tun?

Geld hat­te er nicht, nur die Klei­dung, die er gera­de trug. Er erin­ner­te sich dar­an, dass ein Onkel, ein Bru­der sei­nes Vaters, in Tehe­ran leb­te. Zum Glück war es nicht so weit bis zur ira­ni­schen Gren­ze. Also mach­te er sich, vol­ler Angst und Ver­zweif­lung, auf – zu Fuß durch die Berge.

Ein Freund hat ihm ein­mal einen Weg gezeigt, der  – abseits von den Grenz­kon­trol­len – angeb­lich über die Gren­ze füh­ren soll­te. Die ers­te Nacht schlief er allein unter frei­em Him­mel, schon in den Ber­gen. Die fun­keln­den Ster­ne gaben ihm das Gefühl, nicht ganz allein auf der Welt zu sein. Geweckt wur­de er durch das Blö­ken von Scha­fen. Er hat­te Glück! Der Schä­fer war ein freund­li­cher Mensch, der ihn mit Dat­teln und Käse ver­sorg­te. Er beschrieb ihm auch den Weg genau­er, den er gehen muss­te und gab ihm Pro­vi­ant mit. Bäche, aus denen er Was­ser trin­ken konn­te, gab es genug.

Am über­nächs­ten Tag kam er in einem Ort an, aus dem tat­säch­lich ein Bus nach Tehe­ran fuhr. Aber wie soll­te er die Fahrt bezah­len? Auf dem Markt sah er sich nach einer Ver­dienst­mög­lich­keit um. Zu arbei­ten hat­te er schon gelernt. Oft hat­te er auf dem Feld arbei­ten müs­sen. Ein Bau­er setz­te ihn bei der Feld­ar­beit ein. Nach ein paar Wochen hat­te er das Geld für die Bus­fahrt beisammen.

Die Ankunft in der Metro­po­le Tehe­ran (ca. 10 Mio. Ein­woh­ner) warf ihn fast um. Er war noch nie in einer grö­ße­ren Stadt gewe­sen. Wie soll­te er bloß sei­nen Onkel fin­den? Nach lan­gem Hin-und-Her-Über­le­gen ver­trau­te er sich einem Poli­zis­ten an. Da bei­de Far­si spra­chen, konn­te er sei­ne wah­re Her­kunft ver­schwei­gen. Nach meh­re­ren Tagen in Poli­zei­ge­wahr­sam wur­de er schließ­lich sei­nem Onkel über­ge­ben: „Bei mir blei­ben kannst Du nicht“, eröff­ne­te ihm die­ser, „aber ich gebe Dir Geld, damit Du zu mei­nem Cou­sin nach Istan­bul fah­ren kannst.“

Das Über­que­ren der iranisch/türkischen Gren­ze stell­te sich als pro­blem­los heraus.

Moham­med berich­tet wei­ter: „Bei dem Cou­sin muss­te ich zwei Mona­te als Schnei­der­ge­hil­fe arbei­ten, damit er mir das Geld für den Schlep­per gab. Er zeig­te mir auch eine spe­zi­el­le Ecke in Istan­bul, an der sich die Schlep­per tra­fen und han­del­te die Über­fahrt nach Grie­chen­land für mich aus. Die Schlep­per brach­ten mich nach Izmir, wo es mit einem klei­nen Boot über das Meer zur grie­chi­schen Insel Samos ging. Als wir dort anka­men, ver­lang­ten mas­kier­te Poli­zis­ten als ers­tes, dass wir das Boot zer­stör­ten. Wer hat das Schiff gefah­ren? – frag­ten Sie als nächs­tes. Der erhält eine lang­jäh­ri­ge Gefäng­nis­stra­fe. Von den Schlep­pern war weit und breit nichts mehr zu sehen. Die Poli­zis­ten began­nen, uns zu schla­gen. Auch ich wur­de geschla­gen. Nach eini­ger Zeit war man aber der Mei­nung, dass ich zu klein sei, um das Schiff gefah­ren zu haben.

Ich kam in ein Camp. Das war wie ein Knast.

Ich fand glück­li­cher­wei­se eine gut­mü­ti­ge Fami­lie, die für mich die 40 Euro für die Über­fahrt nach Athen bezahl­ten. Die Schlep­per hat­ten mir alles Geld abge­nom­men. Auch den Bus von Athen nach Patra zahl­ten sie für mich, fuh­ren aber nicht mit. Im Hafen von Patra hiel­ten sich vie­le Flücht­lin­ge auf. Jun­gen wie ich, die allein her­um­lie­fen, wur­den immer wie­der von der Poli­zei geschla­gen. Es kamen aber regel­mä­ßig Kin­der von einer Kir­che in den Hafen, die Brot und Was­ser brach­ten. In der Zeit wur­de mir von ande­ren Jun­gen, die auch allein auf der Flucht waren, klar gemacht, dass man die Schif­fe beob­ach­ten muss. Wenn man eins erwischt, das nach Russ­land fährt, wür­de man wegen der Län­ge der Fahrt als blin­der Pas­sa­gier wahr­schein­lich verhungern.

Schließ­lich hat­te ich ein Schiff gefun­den, dass nach Ita­li­en fährt.

Es han­del­te sich um ein Con­tai­ner­schiff, das auch LKW beför­der­te. An einem Mor­gen um 6 Uhr ver­such­te ich, unbe­merkt an Bord zu kom­men. Ein Poli­zist schnapp­te mich. Er schlug mich blu­tig. Aber dann hat­te er doch irgend­wie Mit­leid mit mir. Er zeig­te ver­stoh­len mit der Hand auf ein Ver­steck, in dem ich blitz­ar­tig verschwand.
Einen Tag und einen hal­ben waren wir auf See. Ich hat­te nur eine Fla­sche Was­ser dabei. Ein Lkw mit Was­ser­me­lo­nen war mei­ne Ret­tung. Ich brach die Was­ser­me­lo­nen mit blo­ßen Hän­den auf und aß. Das war herr­lich: Essen und Trin­ken gleich­zei­tig! Ich erkann­te spä­ter an den Geräu­schen – nach drau­ßen sehen, konn­te ich nicht – , dass das Schiff in einen Hafen ein­fuhr. Sofort gab es neue schar­fe Kon­trol­len. Ich ver­steck­te mich unter den Was­ser­me­lo­nen. Ein­mal schau­te ich direkt in das Licht einer Taschen­lam­pe, wur­de aber nicht gesehen.

Ich hielt aus, bis es Nacht war. Dann flüch­te­te ich heim­lich über die Gang­way, klet­ter­te über eine Mau­er und rann­te weg – ins Nichts! Ich lief immer wei­ter, nur weg vom Hafen mit sei­nen Kon­trol­len. Ich stol­per­te über Bahn­glei­se, die ich eine Wei­le ver­folg­te. Irgend­wann fiel ich erschöpft zu Boden und blieb lie­gen. Drei bis vier Stun­den mag ich so gele­gen haben, da fiel mir auf, dass inzwi­schen eini­ge Züge vor­bei­ge­kom­men waren, die in mei­ner Nähe über eine Wei­che muss­ten und des­halb lang­sa­mer fuh­ren. Kurz ent­schlos­sen sprang ich auf den nächs­ten Zug auf und fuhr mit ihm in die Nacht.

Im nächs­ten Ort konn­te ich den Zug heim­lich ver­las­sen. Dort wur­de ich, so dre­ckig, wie ich war, und als Flücht­ling leicht erkenn­bar, trotz­dem nicht von der Poli­zei fest­ge­nom­men. Ich lan­de­te schließ­lich in einer Kir­che, wo ich das ein­zi­ge Kind unter vie­len Flücht­lin­gen war. Es gab dort einen Dol­met­scher, der Far­si sprach. Ich bekam zusam­men mit ande­ren ein Zim­mer und durf­te mich duschen! Toll! Die Kla­mot­ten, die ich bekam, waren zu groß, aber das mach­te mir nichts aus. Die Leu­te in dem Heim waren sehr nett zu mir.

Ich woll­te aber nach Deutsch­land! Ande­re Jun­gen, mit denen ich sprach, sag­ten mir, wir müss­ten nach Cosen­za. Von dort wür­de ein Zug nach Rom gehen. Eini­ge waren schon ein­ein­halb Jah­re dort, denn es war nicht so leicht, von dort weg zu kom­men: kein Bus, kein Zug; nur eine Flucht zu Fuß durch einen weit­läu­fi­gen Wald als ein­zi­ge Mög­lich­keit. Man­che waren dabei schon auf­ge­grif­fen und zurück­ge­bracht worden.

Ich ver­such­te es trotz­dem! Zu dritt mar­schier­ten wir los – nachts natür­lich – ;

die Ori­en­tie­rung ging über das Han­dy eines Jun­gen mit Goog­le Earth! Was­ser und Brot hat­ten wir dabei. Zunächst lief es gut – aber dann hör­ten wir auf ein­mal Schüs­se: wir hat­ten ein Pri­vat­ge­län­de betre­ten. Wir rann­ten schnell auf einen schwer zugäng­li­chen Berg und hör­ten, wie jemand mit einem Motor­rad – immer wie­der schie­ßend – in der Gegend her­um­fuhr und nach Per­so­nen zu suchen schien. Schließ­lich mach­ten wir uns wie­der auf den Weg und fan­den eine Stra­ße. Plötz­lich kommt ein Motor­rad, wir ver­ste­cken uns schnell, war­ten noch eine Stun­de und lau­fen dann wei­ter. Irgend­wann hiel­ten wir erschöpft an und berie­ten uns. Zu Fuß nach Cosen­za war es noch sehr weit. Wer weiß, ob wir das über­haupt schaf­fen  konn­ten. Wir beschlos­sen, ein­zeln mit Auto-stopp wei­ter zu machen. Ich als der Kleins­te soll­te den ers­ten Ver­such star­ten. Und das klapp­te! Als ein Auto neben mir hielt, sag­te ich auf eng­lisch, wie wir es vor­her geübt hat­ten: „I am lost!“
Der alte Mann, der am Steu­er saß, sah mich mit­lei­dig an. Er brach­te mich bis zum Bahn­hof von Cosen­za. Dort stieg ich in den Zug nach Rom. Fünf Stun­den auf der Toi­let­te mach­ten mir jetzt nichts mehr aus, obwohl ich aus­ge­hun­gert in Rom ankam. Auf dem Haupt­bahn­hof waren nur weni­ge Flücht­lin­ge zu sehen. Trotz­dem fand ich einen alten Mann, der mir etwas zu essen und zu trin­ken gab. Er nahm mich mit in den nächs­ten Zug. Aber auch hier muss­te ich 6 – 7 Stun­den auf der Toi­let­te blei­ben. Plötz­lich war ich in Mün­chen. Dort waren sehr vie­le Afgha­nen im Haupt­bahn­hof, die mir zu essen und zu trin­ken gaben.

Dann bin ich allein und „schwarz“ von Mün­chen nach Ham­burg mit dem Zug gefah­ren: ein Kinderspiel!“

Der Kin­der-und-Jugend-Not­dienst hat Moham­med in die betreu­te Wohn­ge­mein­schaft der Gro­ne-Stif­tung im  Insel­park in Wil­helms­burg gebracht, wo er sich sehr wohl fühlt. Er geht inzwi­schen zur Schu­le und lernt, wie sei­ne Betreu­er mei­nen, unglaub­lich schnell deutsch.