Wenn ein Wilhelmsburger auf Reisen geht

Daniel hat auf seiner Reise siebenundzwanzig verschiedene Länder gesehen. Und aus allen hat er sich die Landesflagge als Aufkleber auf sein Fahrrad geklebt. Ein ziemlich deutsches Verhalten, wie ihm mal eine Reisebekanntschaft attestierte, aber für Daniel auch eine tolle Erinnerung an ein großes Abenteuer.
Daniel hat auf seiner Reise siebenundzwanzig verschiedene Länder gesehen. Und aus allen hat er sich die Landesflagge als Aufkleber auf sein Fahrrad geklebt. Ein ziemlich deutsches Verhalten, wie ihm mal eine Reisebekanntschaft attestierte, aber für Daniel auch eine tolle Erinnerung an ein großes Abenteuer.

Wil­helms­burg. Wenn man sich in der Kino­land­schaft so umschaut, fällt ganz deut­lich ein Trend auf: Rei­se­fil­me sind momen­tan ein domi­nie­ren­des The­ma. Da gibt es drei Stu­dis auf Expe­di­ti­on ins ewi­ge Eis in „Pro­jekt: Ant­ark­tis“, zwei musi­zie­ren­de Wel­ten­bumm­ler auf dem Segel­boot in „Blown Away“, „Music, Miles and Magic“, oder ein sehr lan­ger Road­t­rip auf drei alten roten Ves­pas in „Ele­fant to India“.
Begon­nen hat der Hype viel­leicht mit dem deut­schen Rei­se­film-Pio­nier Felix Starck, der mit „Expe­di­ti­on Hap­pi­ness“ und spä­ter mit „Pedal the World“ bereits vor ein paar Jah­ren den Trend gesetzt hat, beim Berich­ten über frem­de Län­der und ande­re Kon­ti­nen­te nicht bloß wie in den Rei­se­füh­rern die Sehens­wür­dig­kei­ten auf­zu­zäh­len und ein paar Fak­ten zu nen­nen. Er berich­tet statt­des­sen per­sön­lich und nah­bar von sei­nen Erleb­nis­sen und nimmt die Zuschauer*innen mit auf sei­ne span­nen­den Rei­sen. Beson­ders gut ist die­ses Unter­fan­gen auch den zwei jun­gen Süd­deut­schen Gwen­do­lin und Patrick gelun­gen, die von ihrer fast ein­hun­dert­tau­send Kilo­me­ter und drei­ein­halb Jah­re lan­gen Rei­se über den gan­zen Glo­bus zurück­kehr­ten und sich ent­schlos­sen, einen Film über ihre Aben­teu­er zu dre­hen. „Weit“ wur­de ein Über­ra­schungs­hit an den Kino­kas­sen. Wohl auch, weil die bei­den als Paar los­ge­zo­gen sind und man beim Anschau­en des Films neben den schö­nen Ein­drü­cken aus der gan­zen Welt auch tie­fe und berüh­ren­de Ein­bli­cke in die Bezie­hung der bei­den bekommt.
Mei­ne klei­ne Stu­die kommt also zu einem Schluss: die Men­schen sind inter­es­siert an den Rei­sen­den. An denen, die ihre Hei­mat hin­ter sich las­sen und Neu­es wagen. Und wenn es also so vie­le Tra­vel­ler da drau­ßen gibt, dann muss da doch eigent­lich auch jemand sein, der hier im Süden Ham­burgs lebt. Der die Elb­in­seln ver­las­sen und vie­le Geschich­ten zu erzäh­len hat, von sei­nen Rei­sen über Län­der­gren­zen, durch ent­le­ge­ne Land­stri­che und die unter­schied­li­chen Areale.

Nicht immer war Dani­el allein in der Natur unter­wegs. Hier radelt er ent­lang der viel­be­fah­ren­den Küs­ten­stra­ße am schwar­zen Meer. Zwar mit tol­lem Aus­blick, aber auch mit viel Verkehrslärm.

Glück­li­cher­wei­se hat sich Dani­el selbst bei uns gemel­det. So konn­te ich mich auf einen Kaf­fee in der Honig­fa­brik mit ihm tref­fen und mir von sei­ner Rei­se erzäh­len las­sen. Denn er ist aus sei­ner Alt­bau­woh­nung in der Fähr­stra­ße auf­ge­bro­chen, um die Welt zu sehen. Zusam­men mit sei­nem treu­en Beglei­ter, sei­nem Rei­se­rad, hat er knapp 27.000 Kilo­me­ter hin­ter sich gebracht. Eine wirk­lich beein­dru­cken­de Zahl, wenn man bedenkt, dass es meis­tens über Land ging und er nur von sei­ner eige­nen Mus­kel­kraft ange­trie­ben wur­de. Gestar­tet ist Dani­el im Früh­jahr 2018. Fast ein Jahr vor­her hat er sich Zeit genom­men, um sei­ne Rei­se vor­zu­be­rei­ten und zu pla­nen. So viel Zeit hät­te er letz­ten Endes gar nicht gebraucht, erzählt er mir bei unse­rem Gespräch. Vie­les ist dann doch ein­fa­cher und klappt pro­blem­lo­ser, als man es sich erst vor­stellt. Zum Bei­spiel ist es für deut­sche Staats­bür­ger rela­tiv easy, Visa zu bekom­men. Dani­el hat sich auch nicht wirk­lich im Vor­feld dar­um geküm­mert, son­dern eher auf sich zukom­men las­sen, wann er wo sein wird. Durch sei­ne Fort­be­we­gung mit dem Rad war er ja ohne­hin lang­sa­mer, als wenn er in den Flie­ger gestie­gen wäre. So kamen die Grenz­über­gän­ge gemäch­lich auf ihn zu und er konn­te unter­wegs über­le­gen, was für büro­kra­ti­sche Hür­den er bald meis­tern muss.

Die­se Ent­schleu­ni­gung und das bewuss­te Erle­ben jeden Meters sei­nes Weges war auch, was ihn an der Rei­se mit dem Rad gereizt hat. Dani­el hat das Gefühl, so mehr gese­hen und erlebt zu haben als bei dem klas­si­schen Back­packing, wo man von Ort zu Ort jet­tet und in Hotels und Hos­tels unter­kommt. Außer­dem ist das Rei­sen mit dem Fahr­rad natür­lich bio­lo­gi­scher und man hat viel Zeit, um über sich selbst, sei­nen Weg und sei­ne Zie­le nach­zu­den­ken. Zum Start sei­ner Rei­se ist Dani­el zwar auch geflo­gen und von Ham­burg in die Ber­ge von Nepal gebeamt wor­den, doch anstatt sich dort die Orte anzu­se­hen, die alle Tou­ris­ten sehen, ist Dani­el mit sei­nem Rad durch die Dör­fer und das länd­li­che Gebiet gefah­ren, um so die wah­re See­le des Lan­des ken­nen­zu­ler­nen. Geschla­fen hat er häu­fig da, wo er ein wenig Zuflucht gefun­den hat. In Kir­chen, Schu­len und Moscheen. Er hat­te aber auch stets ein Zelt dabei, um sich über­all ein Dach über dem Kopf auf­span­nen zu kön­nen. Oft hat er sich aber auch ein­fach vor Wohn­häu­sern auf­ge­hal­ten und damit ein wenig for­ciert, dass er ein­ge­la­den wird. Denn natür­lich sind auch die Bewoh­ner der Dör­fer neu­gie­rig, wenn jemand Frem­des in ihrer Nach­bar­schaft auf­taucht. Mit einem Lächeln und einer posi­ti­ven Aus­strah­lung kann man schnell alle Sprach­bar­rie­ren über­win­den und kommt oft in den Genuss rie­sen­gro­ßer Gast­freund­schaft. Das Inter­es­se an einem unbe­kann­ten Gesicht war in den Län­dern, die Dani­el bereist hat, sogar so groß, dass sich schnell rie­si­ge Men­schen­trau­ben um ihn gebil­det haben. Ein Phä­no­men, das einem vie­le Rei­sen­de gera­de aus dem Gebiet berich­ten, wo auch Dani­el unter­wegs war. Ihm ist auf­ge­fal­len, dass er auf sei­ner Rei­se teil­wei­se wochen­lang kei­nen ande­ren Men­schen gese­hen hat, der wie er nicht in dem Land zu Hau­se ist. Er ist daher von Zeit zu Zeit doch in Hos­tels ein­ge­kehrt, um sich ein wenig Ruhe von all der Anders­ar­tig­keit zu gön­nen, die ihm auf den Stra­ßen immer wie­der begeg­net ist. Denn an den Orten, die nicht vom Tou­ris­mus abhän­gig sind, begeg­net einem das wah­re Leben viel direkter.


Von Nepal ging es für Dani­el nach Indi­en, den gesam­ten Sub­kon­ti­nent hat er mit dem Rad durch­quert und dabei auch Zeit in gro­ßen Städ­ten wie Mum­bai verbracht.


Geld spielt in Städ­ten sofort eine viel grö­ße­re Rol­le als auf dem Land, die Ver­füg­bar­keit von Kon­sum­gü­tern ruft einem ins Bewusst­sein, was man alles haben könn­te oder eben nicht haben kann. Auf dem Land braucht es eigent­lich nur Was­ser und ab und an mal eine Klei­nig­keit zu essen, fin­det Dani­el. Und das bekommt man leicht, denn die Men­schen sor­gen sich mehr umein­an­der und es ist nicht so anonym wie in der Stadt. In den ärms­ten Gegen­den hat Dani­el die größ­te Gast­freund­schaft erlebt. In Nord­t­hai­land, wohin ihn sei­ne Rei­se bald führ­te, hat­ten die Men­schen sehr wenig, doch ein Ehe­paar, bei dem Dani­el über­nach­te­te, bestand sogar dar­auf, ihm ihr Ehe­bett zu überlassen.


Unge­fähr zur Halb­zeit sei­ner Rei­se führt sein Weg Dani­el durch Kam­bo­dscha, wo er sich mit Ankor Wat auch ein Unesco-Welt­kul­tur­er­be ansah. Denn auch wenn Dani­el viel an der Abge­schie­den­heit sei­ner Rou­ten lag und er gern lang­sam und nicht auf den gewöhn­li­chen Wegen durch die Welt fuhr, so ließ er es sich doch nicht ent­ge­hen, die gro­ßen Sehens­wür­dig­kei­ten zu besu­chen, wenn er schon so nah bei ihnen war. Denn wer weiß, ob sich noch ein zwei­tes Mal die Chan­ce bie­ten wird.
Durch Viet­nam, Indo­ne­si­en und Malay­sia fuhr Dani­el mit sei­nem Fahr­rad noch eini­ge wei­te­re Mona­te, bis er Ende 2018 mal wie­der in ein Flug­zeug stieg und Asi­en hin­ter sich ließ. Weih­nach­ten fei­er­te Dani­el im Oman und das Jahr 2019 begann damit, die ara­bi­sche Halb­in­sel zu erkunden.

Auf so einer lan­gen und wei­ten Rei­se begeg­nen einem auch vie­le unge­wöhn­li­che Gerich­te. Die­se gedeck­te Tafel im Iran hat­te eine Men­ge Köst­lich­kei­ten zu bie­ten. Doch auch ziem­lich Gewöh­nungs­be­dürf­ti­ges hat Dani­el gekos­tet, wie eine Por­ti­on dicke wei­ße Wür­mer in Vietnam.


Bald dar­auf lern­te er auch schon sein Über­ra­schungs­land ken­nen: den Iran. Ein so viel­sei­ti­ges Land, erzählt Dani­el, das die ver­schie­dens­ten Land­schaf­ten zu bie­ten hat. Hier ver­bringt er drei gan­ze Mona­te und macht eine kom­plet­te Rund­rei­se. Und gibt dabei nicht viel mehr als hun­dert Euro im Monat aus denn auch hier begeg­net ihm eine unglaub­li­che Gast­freund­schaft. Und da das Land so schön ist, schaff­te er manch­mal nur 20 Kilo­me­ter am Tag, da er stän­dig für Fotos anhal­ten muss­te.
Im Früh­ling durch­quert Dani­el die Tür­kei und war zur Jah­res­mit­te in Grie­chen­land. Ein hal­bes Jahr war er da noch von sei­ner Hei­mat, der Elb­in­sel, ent­fernt und lang­sam fühl­te sei­ne Rei­se sich auch ein wenig nach Nach­hau­se­weg an. Aller­dings lernt man sei­ne Hei­mat ganz neu zu schät­zen, wenn man sie so aus der kom­plett ande­ren Rich­tung erreicht, erzählt Dani­el. Über Alba­ni­en, Mon­te­ne­gro und Kroa­ti­en gelang­te er nach Bos­ni­en, von wo er nach Ita­li­en über­setz­te und damit schon so nah an zu Hau­se war, dass man mitt­ler­wei­le wie­der von ihm den­ken konn­te, er sei nur vier­zehn Tage im Urlaub dort. In Öster­reich sprach er dann das ers­te Mal wie­der ganz selbst­ver­ständ­lich Deutsch mit den Men­schen, die ihm begeg­ne­ten. Dani­el erzählt, wie sehr ihn auch die Land­schaft und das Umfeld dort beein­druckt haben. Und dass es sich nach so lan­ger Zeit und einem so wei­ten Weg auch wie­der rich­tig gut anfühl­te, auch von dem Nahe­lie­gen­den ange­tan zu sein.

Durch die Wüs­te im Oman ist Dani­el mit sei­nem Rei­se­rad drei gan­ze Tage lang gefah­ren, ohne eine Men­schen­see­le zu tref­fen. Zeit ver­liert auf so einer lan­gen Rei­se an Bedeu­tung und die Erfah­rung von Ein­sam­keit lässt die Per­sön­lich­keit reifen.


In den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren hat Dani­el sie­ben­und­zwan­zig Län­der gese­hen und als er dann nach fast 600 Tagen in Süd­deutsch­land ankam, ist es dann auch wirk­lich nur noch eine klei­ne Fahr­rad­tour bis nach Hau­se …
Mitt­ler­wei­le ist Dani­el lang­sam wie­der im Wil­helms­bur­ger Insel­li­fe ange­kom­men. Vor Kur­zem hat er sei­nen neu­en Job ange­fan­gen. Der 36-Jäh­ri­ge arbei­tet in Ham­mer­brook als Con­trol­ler und geht jetzt wie­der jeden Mor­gen ins Büro. „Macht mir noch ein biss­chen Kopf­schmer­zen. Ich bin wohl noch nicht wie­der dran gewöhnt“, erzählt er mir in der HoFa. Auf die Fra­ge, ob er denn schon neue Rei­se­plä­ne hät­te, begin­nen sei­ne Augen zu strah­len. „Auf jeden Fall, der neue Arbeits­ver­trag ist befris­tet auf neun Mona­te und danach geht’s wie­der los. Auf die Dau­er ner­ven ihn all­täg­li­che Ver­pflich­tun­gen, wie Mie­te zah­len oder Woh­nung auf­räu­men zu müs­sen. Viel­leicht geht’s dies­mal durch Afri­ka, um dort end­lich wie­der ganz unbe­schwert zu sein.
Ob er dann wohl mal den Ort fin­det, an dem er blei­ben will, fra­ge ich ihn. Doch den hat er schon gefun­den, da ist er sich sicher. Wil­helms­burg ist sei­ne Oase im Grü­nen, geschaf­fen dafür, dem hek­ti­schen All­tag zu ent­flie­hen. Ihm war immer klar, dass er hier­her wie­der zurück­kom­men wird. Des­we­gen hat er auch die gan­ze Rei­se über nie etwas ver­misst, son­dern hat immer wie­der vol­ler Wan­der- oder eher Rad­ler­lust sei­ne Sat­tel­ta­sche gepackt und in die Peda­le getre­ten.
„Schla­fen kann ich nach der Rei­se“, ist stets sein Cre­do gewe­sen, und das dann doch immer noch am bes­ten in Wil­helms­burg.
Alice@WIP