Agro in Willi

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Stadt und Land im Fluss

Kei­ne Angst, das Agro mit einem „g“ zielt natür­lich nicht dar­auf ab, dass Wil­helms­burg von Eini­gen als eher har­tes Pflas­ter gese­hen wird. Viel­mehr geht’s um Kul­tur, genau­er gesagt, die Agrar­kul­tur, die einst das abso­lut prä­gen­de Ele­ment der Elb­in­seln war. Heut­zu­ta­ge wird die Elb­in­sel oft­mals kurz und knapp als „Wil­ly“ bezeichnet.
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Wil­li fällt mir jedoch auch als einer der klas­sischs­ten Namen im Länd­li­chen ein, um einen etwas dick­li­chen, gemüt­lich stu­ren Her­ren mit Mist­ga­bel in der Hand und Kord­hut auf dem Kopf zu beschrei­ben. Wenn ich als ech­tes Land­kind in Ham­burg Land­luft schnup­pern und ein biss­chen Hei­mat genie­ßen möch­te muss ich nur zehn Minu­ten aufs Rad und schon bin ich mit­ten­drin. Kurz hin­ter Kirch­dorf Süd las­sen sich die Anfän­ge der Besied­lung und Über­bleib­sel der Wil­helms­bur­ger Geschich­te rasch fin­den. Die längs­te Zeit, seit­dem Men­schen auf Inseln zwi­schen Nor­der- und Süd­er­el­be leben und arbei­ten, war Wil­helms­burg land­wirt­schaft­lich geprägt. In den letz­ten 150 Jah­ren hat sich dies dras­tisch geän­dert. Grund genug, auf Spu­ren­su­che zu gehen.

Schon der Name Ved­del gibt ers­te Hin­wei­se. Er stammt aus dem Alt­deut­schen, bedeu­tet so viel wie „bewal­de­tes Wei­de­land“ und zeigt, dass die­ses Fleck­chen Erde im Gegen­satz zu heu­te eher dünn besie­delt war und als Sumpf­ge­biet zunächst urbar gemacht wer­den muss­te. Inten­siv auf Sumpf­ge­biet zu sie­deln hieß zunächst, sich pas­sen­de Orte zu suchen, um das Haus, die Kir­che oder den Hof stand­fest zu errich­ten. Auf natür­li­chen oder künst­li­chen Erhö­hun­gen wur­de man auf soge­nann­ten San­den oder Wur­ten fün­dig. Die frü­hen Sied­ler ramm­ten Eichen­pfäh­le in den Grund, um über­haupt sta­tisch trag­fä­hi­ge Schich­ten für die reet­dach­be­deck­ten Häu­ser zu erreichen.
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Als Insel­mo­sa­ik muss­te der Mensch die natür­li­che Marsch­land­schaft also erst tro­cken­le­gen und hat mit unzäh­li­gen Dei­chen vie­le klei­ne Inseln her­vor­ge­bracht. Nicht umsonst tra­gen eini­ge Stra­ßen in Wil­helms­burg immer noch „Deich“ im Namen, da man bei der Zusam­men­le­gung der Inseln auf den ehe­ma­li­gen Deich­li­ni­en bspw. den Vogel­hüt­ten­deich als Stra­ße wei­ter­ge­nutzt hat. Da die Fel­der wegen der Ent­wäs­se­rungs­grä­ben eher klein­tei­lig strei­fen­för­mig sind und gutes Wei­de­land dar­stel­len, war der Milch­han­del ein wich­ti­ger Wirt­schafts­zweig. Tat­säch­lich hat­te man bereits vor dem 14. Jahr­hun­dert immer wie­der Wei­de­vieh auf die Flä­chen zwi­schen Har­burg und Ham­burg gebracht und zwar per Fähr­ver­bin­dung. Um 1880 gab es 120 Mel­ker auf der Elb­in­sel. Damit war Wil­helms­burg füh­rend im Ver­gleich zu den ande­ren Marsch­ge­bie­ten. Neben der Milch war der Gemü­se­an­bau wei­te­rer bedeu­ten­der Ein­kom­mens­zweig. Bis ins 18. Jahr­hun­dert wird Gemü­se größ­ten­teils für den Eigen­be­darf ange­baut. Doch in Zei­ten der Nah­rungs­mit­tel­knapp­heit wer­den Kohl, Kar­tof­feln und Hül­sen­früch­te wegen des hohen Nähr­werts und gerin­gem Flä­chen­be­darf inter­es­sant für die Ver­mark­tung. Hier haben die Wil­helms­bur­ger Land­wir­te ech­te Pio­nier­ar­beit geleis­tet, bei dem der Wil­helms­bur­ger Rosen­kohl schnell zum Export­schla­ger in die Ham­bur­ger Innen­stadt avan­ciert. So sehr sogar, dass die schwe­re Ladung per Poli­zei­ver­ord­nung nicht mehr auf dem Land­weg zum Markt in die Stadt gebracht wer­den durf­te, um die Dei­che nicht zu beschä­di­gen. Mit dem Schiff gehen die land­wirt­schaft­li­chen Güter sogar noch bis in die 1960er Jah­re über die Elbe auf die Märk­te in der Innenstadt.
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Vie­le alte Bau­wer­ke sind uns als Zeit­zeu­gen nicht erhal­ten geblie­ben und doch tau­chen sie hier und da, meist unver­hofft, zwi­schen den Zei­len auf. Klaus und ich sind mal wie­der auf Streif­zug mit dem Rad und wir machen uns grob gen Süd­os­ten auf.

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Auf Höhe der Dove-Elbe direkt hin­ter dem Koral­lus­vier­tel ver­birgt sich ein klei­nes, lang­ge­zo­ge­nes Bau­ern­haus ganz klas­sisch mit Reet­dach, Fach­werk und grün-ver­zier­ter Holz­tür. Ein alter guss­ei­ser­ner Tür­klop­fer stei­gert das Bedürf­nis ins Uner­mess­li­che, wie anno dazu­mal als gefühl­ter Stadt­land­strei­cher um Ein­lass zu bit­ten und ein wenig Pro­vi­ant oder Unter­kunft zu erfra­gen. Doch an die­sem son­ni­gen Sams­tag­mor­gen möch­ten wir die Bewoh­ner lie­ber aus­schla­fen las­sen. Plötz­lich öff­net uns unver­hofft eine Bewoh­ne­rin und lukt aus dem Tür­spalt, um zu sehen, was Klaus und ich wohl für eine Mis­si­on haben. Ich befürch­te den Vor­wurf des Land­frie­dens­bruchs, aber ganz im Gegen­teil erzählt uns die Bewoh­ne­rin ange­regt über das Gebäu­de und die Geschich­te. Ihre Fami­lie sei schon seit meh­re­ren Genera­tio­nen in dem Haus wohn­haft. Mitt­ler­wei­le sei das Gebäu­de unter Denk­mal­schutz und im Besitz der Saga, die nun auch für die Restau­rie­rung und Instand­hal­tung ver­ant­wort­lich ist. Eine Tafel an der Gebäu­de­wand erklärt uns, dass das Haus aus dem Jahr 1690 stammt: „Die Fach­werk­knag­gen an der Deich­sei­te sind reich, reich ver­ziert“ und zitie­ren den 34. Psalm. Was das genau bedeu­tet, dürft ihr gern selbst her­aus­fin­den. Auch mit ein paar Platt­deutsch­kennt­nis­sen habe ich kei­ne Chan­ce, die Ver­se zu ent­zif­fern. Kurz bevor wir gehen wol­len, kommt die Bewoh­ne­rin erneut aus dem Haus und wirft uns hin­ter­her: Übri­gens, Napo­le­on soll hier auch ein­mal über­nach­tet haben. Dann darf sich die Saga nun also auch mit der Her­rich­tung eines pro­mi­nen­ten Schlaf­ge­machs befas­sen, viel Erfolg!
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Nur unweit des ältes­ten Fach­werk­hau­ses der Insel fin­den wir die Wind­müh­le Johan­na. Zwi­schen blank ver­putz­ten Häu­ser­zei­len kann man hier und da schon von Wei­tem einen Flü­gel auf­blit­zen sehen. Von der rich­ti­gen Sei­te betrach­tet ist sie das idea­le Post­kar­ten­mo­tiv mit ange­schlos­se­nem Back­haus. Von Mül­ler Bün­so wur­de hier schon im 18. Jahr­hun­dert in der soge­nann­ten Weiß­bä­cke­rei Brot geba­cken. Benannt wor­den wie­der­um ist die Müh­le nach Johan­na, der letz­ten akti­ven Mül­le­rin, die mit ihrem Mann 1960 den Betrieb auf­ga­ben und an die Stadt Ham­burg ver­kauf­ten. Schon 1585 hat es hier eine Müh­le gege­ben und heu­te ist Johan­na ein Denk­mal und Muse­um mit Cafe. Als wir die Außen­auf­nah­men machen öff­net sich unver­mit­telt die Tür und ein net­ter Herr nimmt sich die Zeit, uns auch ins Inne­re der Müh­le schau­en zu las­sen. Wir ent­de­cken die holz­wurm­sti­chi­ge Königs­wel­le, die wahr­schein­lich die meis­te Kraft im Mahl­pro­zess über­trägt. Etli­che Skiz­zen, Ansich­ten und Model­le las­sen einen tie­fen Ein­blick in die Müh­len­ge­schich­te zu wäh­rend immer noch sicht­bar ist, dass die Müh­le hier und da ihrem Mahl­werk nach­geht. Neun ver­schie­de­ne Stel­lun­gen des Wind­mühl­rads erklä­ren dem Ken­ner, ob gera­de Fei­er­abend ist, Gefahr droht, eine Fei­er ansteht oder die Mahlstei­ne geschärft wer­den. Und wenn ein Flü­gel des unbe­spann­ten Wind­mühl­rads links neben der Ein­gangs­tür steht nennt man das die „Freu­den­sche­re“. Die­se Müh­len-Enig­ma ver­mag heut­zu­ta­ge wohl kaum noch jemand zu deuten.
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Wei­ter geht’s in Rich­tung Kirch­dorf, Still­horn und Moor­wer­der. Vor­bei an der Kreuz­kir­che und Kirch­dorf-Süd, die den Kon­trast zwi­schen alt und neu beson­ders sym­bo­li­sie­ren, ent­fal­ten sich für ham­bur­gi­sche Ver­hält­nis­se unend­li­che land(wirt-)schaftliche Weiten.
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Eine Kat­ze liegt auf der Lau­er nach Beu­te auf der Brü­cke über eine Wet­ter. Neben Laven­del wächst der Kür­bis her­an und hat noch ein paar Wochen bis zur Ern­te. Hin­ter dem Deich lugt ein Reet­dach her­vor und in der Fer­ne kann man sogar den Michel erken­nen. Nur ein paar Schrit­te wei­ter steht ein ver­ros­te­ter Pflug eher als Deko an einer Hof­ein­fahrt und ich fra­ge mich, wann er wohl das letz­te Mal ein­ge­setzt wur­de. Die Initia­len und Bau­jah­re in den Fas­sa­den der Gebäu­de erzäh­len in bun­ten Let­tern von ver­gan­ge­nen Genera­tio­nen. Hier fügt sich alles in das strei­fen­ar­ti­ge Ras­ter der Ent­wäs­se­rungs­ka­nä­le ein und die Dächer der Glas­häu­ser glän­zen in der unter­ge­hen­den Son­ne min­des­tens genau so schön wie die Fas­sa­de der Elb­phil­har­mo­nie. Und ja, das Land­le­ben ist hier noch spürbar.
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Beim Schüt­zen­fest unter dem Titel „Moor­wer­der Par­ty­land – Wir wis­sen wie man fei­ert“ hei­zen DJ Marc und MC Andre­as gehö­rig ein. Die Trink­fes­tig­keit der Bewoh­ner dürf­te sich in den Jahr­hun­der­ten kaum merk­lich ver­än­dert haben. Eine hand­voll Betrie­be und ihre Nach­barn im Süd­os­ten der Insel hal­ten also die bäu­er­li­che Ver­gan­gen­heit und dörf­li­che Gemein­schaft aktiv hoch. Die Rea­li­tät und Zukunft der Land­wirt­schaft lässt sich aller­dings kaum in die­sem Idyll á la Land­lust-Maga­zin wie­der­fin­den. Der Gast­hof mit abge­bro­che­nen Schild, der Klein­bau­er ohne Hof­nach­fol­ger und eini­ge ver­fal­le­ne Glas­häu­ser und Scheu­nen zei­gen, dass der Struk­tur­wan­del längst zuge­schla­gen hat und eini­ge befürch­ten, dass es in 10 Jah­ren kei­ne akti­ven Gar­ten­bau­be­trie­be mehr auf der Elb­in­sel gibt.
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Andern­orts auf der Elb­in­sel wie­der­um sprie­ßen neue For­men der Land­wirt­schaft und Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on in unter­schied­li­cher Dimen­si­on empor. Eini­ge gibt es schon lan­ge, wie den Kin­der­bau­ern­hof Kirch­dorf, der letz­tes Jahr sei­nen 30. Geburts­tag fei­ern durf­te oder auch der inter­kul­tu­rel­le Gar­ten am Vering­ka­nal, bei dem Gar­ten­bau, Bil­dung und Gemein­schaft eine per­fekt zu Wil­helms­burg pas­sen­de Sym­bio­se eingehen. 
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Und wer hät­te es gedacht, der Craft-Beer-Trend lässt uns sogar wie­der ein Pils­ner der Bunt­haus-Braue­rei genie­ßen, des­sen Rezept an die Zeit erin­nert, als in Wil­helms­burg vor mehr als 200 Jah­ren noch eige­nes Bier gebraut wur­de. Oder die als spie­ßig ver­ru­fe­nen Schre­ber­gär­ten, die in den letz­ten Jah­ren ein beson­de­res Revi­val erle­ben. Die­se Ama­teur-Mini-Land­wirt­schaft bedeu­tet für vie­le ein Aus­rei­ßen aus dem All­tag, ein klei­nes Refu­gi­um, um sich die Hän­de beim Unkraut­jä­ten schmut­zig zu machen und durch­aus den Mit­tags­tisch zu bereichern.
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In unse­rem Klein­gar­ten­ver­ein bau­en wir nun in zwei­tem Jahr gefühlt dilet­tan­tisch, aber mit wach­sen­dem Erfolg Erb­sen, Toma­ten, Kür­bis­se und vie­les mehr an. Den­noch schau­en wir nei­disch auf eine benach­bar­te Par­zel­le, in der eine älte­re tür­ki­sche Frau eine Pro­duk­ti­vi­tät erreicht, von der vie­le Land­wir­te nur träu­men kön­nen. So gesel­len sich Alt-Georgs­wer­de­raner neben Men­schen aus den unter­schied­lichs­ten Kul­tu­ren mit uns als Neu­gärt­ner, die viel von unse­ren Nach­barn ler­nen können.
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Als jun­ge akti­ve Keim­zel­le einer Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der Land­wirt­schaft hat sich in Wil­helms­burg nun eine Soli­da­ri­sche Land­wirt­schaft gebildet. 
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Hier geht es ohne Umwe­ge und Zwi­schen­händ­ler vom Bau­ern zum Abneh­mer. Eini­ge hun­dert Inter­es­sen­ten haben sich als Soli­dar­ge­mein­schaft einer Grup­pe aus der Nord­hei­de ange­schlos­sen, von denen die Lebens­mit­tel zunächst bezo­gen wer­den. Mit dem Land­wirt wird ein Pflanz­plan abge­stimmt, jeder SoLa­Wist bie­tet einen für sich ver­tret­ba­ren Preis und bekommt schließ­lich fri­sche Ware aus der Regi­on. Kur­ze Wege, ein fai­rer Preis, sai­so­na­le Pro­duk­te und Gemein­schaft ste­hen im Zen­trum des Pro­jekts. Per­spek­ti­visch sol­len dann
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land­wirt­schaft­li­che Flä­chen in Koope­ra­ti­on mit Betrie­ben aus Moor­wer­der für die loka­le Pro­duk­ti­on von Gemü­se genutzt wer­den kön­nen. Irgend­wie ein biss­chen wie frü­her. Das Pro­jekt ist ange­dockt an Mini­topia am Ende der Georg-Wil­helm-Stra­ße, wo zwar kei­ne Wind­müh­le, aber ein Wind­rad zur Ener­gie­ge­win­nung gebaut wird, Hoch­beet­bau-Work­shops statt­fin­den oder eine Bar zum Treff­punkt nach geta­ner Arbeit wird. Über För­der­gel­der und Crowd­fun­ding ist hier ein Ort ent­stan­den, an dem Neu­es aus­ge­tes­tet wird.
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Es geht also wei­ter, denn ganz ohne Land­wirt­schaft und den Anbau von Lebens­mit­teln vor Ort wird Wil­helms­burg sicher nicht in die Zukunft gehen wollen. 

Joe@WIP

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