„Flutgebiet“ – Ein Roman

„Flutgebiet“ ist ein Roman von Malte Borsdorf.

Das Buch ist Anfang 2019 im Müry Salzmann Verlag erschienen. Das gebundene Buch hat 240 Seiten.

Der Autor schickt den Leser direkt in die Kata­stro­phe, an den 16.Februar 1962, nur Stun­den bevor der Jahr­hun­dert­sturm, der Orkan Vin­ci­net­te, durch die Dei­che bricht.
Der jun­ge Karl ist mit sei­nem Fahr­rad unter­wegs um sei­nem Vater das Essen zur Arbeit zu brin­gen. Von Wil­helms­burg aus in Rich­tung Hafen. Dort arbei­tet sein Vater in der Staue­rei – Schif­fe löschen, be- und ent­la­den. Schwe­re kör­per­li­che Arbeit. Karl bringt ihm jeden Tag im „Hen­kel­mann“ das Essen vor­bei. An die­sem Tag stürmt es zu dem Zeit­punkt schon so hef­tig, was es ihm fast unmög­lich macht, mit sei­nem neu­en Fahr­rad gegen das auf­kom­men­de Unwet­ter anzu­kom­men. Gegen die immer stär­ker wer­den­den Wind­bö­en und den undurch­dring­li­chen Regen.

Die Kata­stro­phe, die der Autor beschreibt, ist kalt. Man spürt die Tem­pe­ra­tur des Febru­ars. Um die Null Grad. Der eis­kal­te Regen, durch den man nichts mehr sieht, der wie Nadeln auf die Haut pras­selt. Der Wind, der Holz und Metall­tei­le meter­weit durch die Luft flie­gen lässt. Bei dem es unmög­lich ist sich auf­recht zu hal­ten. Bei jedem Satz den der Autor schreibt, beginnt man mehr und mehr zu frös­teln. Die Men­schen, die noch unter­wegs sind, flüch­ten vor den Was­ser­mas­sen. Das Was­ser steht schon bis zu den Knien als Karl und sein Vater in den lang­sam voll­lau­fen­den alten Elb­tun­nel klet­tern um noch nach Hau­se zu kom­men. In die trü­ge­ri­sche Sicher­heit, …heim nach Wil­helms­burg.
Doch die Sturm­flut ist fast da. Das Was­ser steigt und steigt.

Am 17.Februar 1962, um kurz vor zwei Uhr in der Nacht bre­chen die Dei­che an nahe­zu 60 Stellen.

Mit bra­chia­ler Gewalt reißt die Druck­wel­le alles mit, was sich ihr in den Weg stellt. Bricht sich die Schnei­se nach Wil­helms­burg. Zuerst erreicht das Was­ser die Behelfs­hei­me, in denen die Aus­ge­bomb­ten des Krie­ges leben, und zer­stört alles. Tau­sen­de ver­lie­ren zum wie­der­hol­tem Male ihr gesam­tes Hab und Gut. Sind wie­der auf der Flucht.

Wir fol­gen in dem Roman wei­ter­hin dem jun­gen Karl, schmäch­tig wie sein Vater. Er wohnt mit sei­nen Eltern Hein­rich und Agnes in einer Ein­zim­mer­woh­nung in der Georg-Wil­helm-Stra­ße. Sein Vater hat ihm ein „Kin­der­zim­mer“ in einen Wand­schrank gebaut. Schma­les Bett, elek­tri­sche Lam­pe. Karl ist eine Lese­rat­te, was zu der dama­li­gen Zeit in der Welt der Schau­er­leu­te, Kai­schup­pen und Spei­cher nicht so gut ankommt.
Alle Ver­su­che ihn in Arbeit zu bekom­men sind geschei­tert. Karl soll, wie sein Vater, Hafen­ar­bei­ter wer­den. Aber er wirkt schwäch­lich in den Augen anderer.

Die Hand­lun­gen um Karl und sei­nen Eltern sind ver­wo­ben mit der Kata­stro­phe und der Nach­bar­schafts­knei­pe die „Kog­ge“, in der Nähe des Deiches.

In die­ser zwei­ten Hand­lungs­ebe­ne tref­fen sich aller­hand skur­ri­le Cha­rak­te­re in der Knei­pe. Alle­samt lie­be­voll beschrie­ben. Vie­le davon haben einen fes­ten Platz in der Geschich­te. Tra­gen mit ihrem Tun zum span­nen­den Ver­lauf der Hand­lung bei. Es braucht kei­ne Zeit um sich in die Men­schen hin­ein zu ver­set­zen. Sie sind schon da. Man ist mit­ten­drin. Aus der Kog­ge her­aus wird dann auch beschrie­ben, was wäh­rend der Flut pas­siert. Men­schen kom­men her­ein und erzäh­len von Toten und Ver­miss­ten. Sie erzäh­len von Men­schen auf Dächern und Bäu­men, die ver­zwei­felt um Hil­fe rufen. Von Par­terre­woh­nun­gen, die zu Todes­fal­len wur­den. Ein paar Funk­ama­teu­re star­ten den Not­funk­be­trieb in der Knei­pe. Jeder ist für jeden da. Eier pel­len, Sup­pe essen. Dazu gibt es Korn. Der wärmt. Vorerst.

Ich habe gefro­ren, als ich die­ses Buch gele­sen habe.
Bil­der gin­gen durch mei­nen Kopf, die ich aus vie­len Doku­men­ta­tio­nen und Geschich­ten zu die­ser Sturm­flut kann­te. Die sehr authen­tisch wir­ken­de Atmo­sphä­re macht einem Angst.

Man weiß ja, was pas­siert und fie­bert mit den Men­schen im Buch mit. Durch­näss­te Klei­dung. Sturm­bö­en. Enge Räu­me. Alles klamm. Der nicht enden wol­len­de Regen. Und alles ist irgend­wie Schwarz-Weiß.
Was mir auch sehr gefal­len hat, war die Spra­che, die der Autor nutzt, wenn er Per­so­nen, Din­ge oder Orte beschreibt. So bringt Karl sei­nem Vater sein Essen in einem „Hen­kel­mann“. „Mit­nehm­bro­te“, „Tal­ly­mann“ (Ladungs­kon­trol­leur im Hafen), „Trin­ker“ und „nur Flau­sen im Kopf“ las­sen die Zeit noch plas­ti­scher wer­den. Mir gefällt das Buch. Es ist von der ers­ten bis zur letz­ten Sei­te packend geschrie­ben. Die Per­so­nen sind lie­be­voll aus­ge­ar­bei­tet und han­deln nach­voll­zieh­bar. Die unheim­li­chen ers­ten Anzei­chen der auf­kom­men­den Kata­stro­phe sind so inten­siv geschrie­ben, als ob der Autor vor Ort gewe­sen wäre.
Das Buch endet ein paar Tage nach der Sturm­flut. Eini­ges hat sich in der Geschich­te ver­än­dert. Vie­le Cha­rak­te­re sind gestor­ben. Für ande­re gibt es ein neu­es Leben. Eine zar­te Lie­be. Erwach­sen wer­den.
Ich habe sel­ten ein Buch so schnell durchgelesen.

In dem Roman wird nicht auf die Fol­gen der Kata­stro­phe ein­ge­gan­gen. Es ist die Geschich­te von Karl. Doch die unmit­tel­ba­ren Fol­gen der Sturm­flut waren 315 Tote. 20.000 Men­schen wur­den Obdach­los. 6000 Gebäu­de wur­den zer­stört. Wil­helms­burg hat lan­ge gebraucht um sich davon zu erholen.

Autoren-Por­trät von Mal­te Bors­dorf
Mal­te Bors­dorf wur­de 1981 in Reut­lin­gen gebo­ren, auf­ge­wach­sen in Tirol. Wohn­te u.a. in Inns­bruck, Ber­lin und Ham­burg-Wil­helms­burg. Er lebt heu­te in Kiel, war Teil­neh­mer der Schreib­werk­statt der Jür­gen Pon­to-Stif­tung und erhielt das Auf­ent­halts­sti­pen­di­um im Künst­ler­haus Schloss Wie­pers­dorf, ein Start­sti­pen­di­um des öster­rei­chi­schen Kul­tur­mi­nis­te­ri­ums und ein Lite­ra­tur­sti­pen­di­um der Kunst­stif­tung Baden-Württemberg. 

Cover Georg-Wilhelm-Strasse

Die Fotos wur­den freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt von Peter Pforr und www.alt-wilhelmsburg.de.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here